Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi
tätschelte Ben, den Hovawart, der zu seinen Füßen lag. Er nahm seinen Läufer von F5 und setzte ihn auf E6.
»Oh«, entfuhr es Fischer. Nein, dachte er, das rettet mich nicht. Meine Welt ist heute ins Wanken geraten, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.
Viele Dinge waren in den letzten Jahren passiert, zu viele. Einige davon gut, aber viele auch schlecht. Er hatte gerade erst das Gefühl gehabt, wieder ins Lot zu kommen. Und nun das. Wieder drehte sich alles in einem atemraubenden Tempo.
War das gut, oder war das schlecht? Fischer wusste auf Anhieb keine Antwort. Er hatte sich gewünscht, dass Ruhe einkehrte, dass sie sich für einige Zeit zurücklehnen und das Leben an sich vorbeirauschen lassen konnten. Doch es schien so, als sei dieser Wunsch zu vermessen, um sich zu erfüllen.
»Das kostet dich einen Bauern«, sagte Fischer und zog seinen Läufer von G2 auf E4.
»Ja, das macht aber nichts.« Wieder lächelte Schink. »Was ist es, das dich so beschäftigt?«
»Der Fall, schätze ich«, log Fischer.
»Der Tote im Kleingartenverein?«
»Genau, der und die andere Tote.«
»Ach ja, stimmt, das Gartenhaus wurde abgefackelt und gleichzeitig eine Leiche verbrannt. Eine weibliche Leiche. Beide wurden erschossen.«
»Woher weißt du das?« Fischer sah ihn überrascht an. »Wir haben zwar einiges an die Presse gegeben, aber nicht alles.«
»Dafür brauche ich keine Presse.« Er zog seinen Läufer von E6 auf A2 und schlug einen von Fischers Bauern.
»Verdammt.«
»Ich brauche keine Presse, weil Ernas Schwester einen Schrebergarten in der Anlage hat. Sie kennt alle Nachbarn, war die letzten Tage dort und hat mit einigen deiner Kollegen gesprochen. Die Gerüchteküche brodelt natürlich.«
»Ach?« Fischer versuchte, sich auf das Spiel zu konzentrieren, aber seine Gedanken schweiften ab.
Guido hatte bisher Glück gehabt. Er führte eine gute Ehe mit Sigrid, sie müssten bald Silberhochzeit haben. Julia hatte Abitur gemacht, und bis auf das kurze Intermezzo mit den Naturschützern, die keine gewesen waren, sondern Probleme gemacht hatten, war sie ohne Schwierigkeiten durch die Jugend gegangen. Und nun das.
»Musst du tatsächlich so lange überlegen?«, unterbrach Schink Fischers Gedanken.
»Was? Ach so.« Fischer nahm den Turm und zog ihn von B1 auf A1.
»Nicht dumm«, sagte Schink.
Mit meinen Söhnen habe ich nicht so viel Glück gehabt, dachte Fischer. Gut, Sebastian geht inzwischen auch seinen Weg. Doch durch den Verlust der Mutter waren aus den beiden fröhlichen Jungen nachdenkliche Kerle geworden. Florian hatte es schlimmer erwischt. Er hatte der Mutter beim Sterben zusehen müssen.
Vielleicht, so dachte Fischer plötzlich, ist dies eine Chance für Florian, ein Weg zurück ins Leben. Eine Aufgabe. Aber Florian war noch so jung. Viel zu jung. Weder hatte er sein Leben im Griff, noch wusste er, wohin ihn die Reise führen sollte. Noch nicht mal ansatzweise wusste er es. Er hatte die Schule geschmissen, war aus der psychologischen Klinik abgehauen, hatte sich bei ihnen eingenistet und ein Lotterleben geführt. Erst in den letzten Tagen hatte Florian so etwas wie Verantwortungsbewusstsein gezeigt. Er hatte sich zu Julia gestellt. An ihre Seite. Er schien vernünftiger geworden zu sein. Aber Julia …
»Läufer von A2 auf D5«, verkündete Schink. Seine Stimme klang triumphierend.
»So schnell kriegst du mich nicht«, murmelte Fischer. »Du hast etwas übersehen. Läufer von E4 auf F5. Schach.«
»Hmm.« Schink überlegte.
»Ernas Schwester hat dir also all die Informationen gegeben?« Jetzt lächelte Fischer. »Krefeld ist doch ein Dorf.«
»Nicht nur das, nicht nur das. So eine Schrebergartenanlage ist ein Mikrokosmos. Hattest du jemals einen Schrebergarten, Jürgen?«
»Nein. In Münster hatten wir einen Garten am Haus, und hier haben wir auch wieder einen. Gärtnern liegt mir auch nicht so. Ich bringe jede Topfpflanze mit meinem Anblick um, fürchte ich. Sie begeht Selbstmord, sobald sie mich sieht, weil sie weiß, dass ich sie im Laufe eines Falles vergessen würde.«
»Wir hatten mal einen Schrebergarten. Meine Frau hat es geliebt, zu säen und zu ernten, die Sachen einzukochen – ein Relikt aus dem Krieg, fürchte ich, als es nichts gab. Wir beide haben es als Kinder erlebt, und die schrecklichen Erinnerungen an den Hunger vergisst man nie.«
»Ich kenne das aus den Erzählungen meiner Eltern, und da war das schon furchtbar. Meine Mutter hat Vorräte gehortet.«
Schink
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