Seidig wie der Tod
den Seiten geöffnet, in denen er die ganze Nacht gelesen hatte. Immer und immer wieder. Wie in den letzten drei Tagen, seit Desiree Dupree vor seiner Tür erschienen war.
Myriaden erotischer Bilder aus dem Buch bedrängten sein Bewusstsein. Bilder von mit roten Seidenbändern gefesselten Frauen; Bilder von Desiree Dupree in Spitzenunterwäsche, in schwarzem Leder oder im roten, mit weißem Pelz besetzten Minikleid, wie es die Helferinnen des Weihnachtsmanns zu tragen pflegten.
Keine dieser Fantasien wäre unangenehm gewesen, wenn nicht ein anderes, fatales Bild ebenfalls immer wieder vor ihm auferstanden wäre wie der teuflische Joker in Mephistopheles’ privatem Kartenspiel. Ein Bild von ihm selbst, ganz in Schwarz gekleidet und mit Blut an seinen Händen.
Fluchend richtete Roman sich auf und schenkte sich ein weiteres Glas Brandy ein aus der Flasche, die er irgendwann im Verlauf der schlaflosen Nacht geöffnet hatte. Normalerweise trank er nicht vor Mittag, aber die letzten Tage waren schließlich auch alles andere als normal gewesen.
Das Telefon klingelte, schrillte und schrillte wie seit Tagen schon.
Den Cognacschwenker in der Hand wartete er darauf, dass sich der Anrufbeantworter einschaltete und sich wieder sein Agent meldete, der wissen wollte, wo zum Teufel er steckte und warum er seine Anrufe nicht erwiderte. Es läge ein Filmvertrag für
Killing Her Softly
vor, und es sei unverantwortlich, sich nicht zu melden, wenn so viel Geld auf dem Spiel stünde, hatte die frustrierte Männerstimme ihm schon wiederholt versichert.
Roman nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, entschlossen, den Anruf zu ignorieren wie die anderen. Doch dann hörte er die Stimme, die ihn in den letzten Tagen und Nächten verfolgt hatte.
„Hallo, Mr Falconer.“ Desirees höflicher Ton war alles andere als intim, und doch berührte er Saiten in Roman, die er lieber unberührt gelassen hätte. „Hier spricht Desiree Dupree.“ Als ob er diese kehlige Stimme nicht überall erkannt hätte!
Eine kurze Pause, als spürte sie, dass er dort stand und lauschte, und als hoffte sie, dass er den Hörer abnahm. Vergiss es, Süße, dachte er. Während jener langen, qualvollen, trunkenen Stunden der Selbstbetrachtung war er zu dem Schluss gekommen, dass es viel zu gefährlich wäre, sich dieser Frau noch einmal zu nähern.
Gefährlich für ihn.
Und noch gefährlicher für sie.
„Ich rufe wegen der Verabredung an. Da ich zu den Leuten gehöre, die ihr Wort halten, und erst recht, wenn es um einen guten Zweck geht, dachte ich, dass Sie vielleicht, falls Sie heute Abend noch nichts vorhaben … Also, ich hätte jedenfalls heute Abend Zeit.“
Wieder hielt sie inne, und es kostete Roman seine ganze Willenskraft, nicht den Hörer aufzunehmen. „Falls Sie Lust dazu haben, natürlich nur.“
Eine weitere Pause, etwas länger als die Erste. Roman stellte sich vor, wie sich Desiree enttäuscht mit der Hand durch die dichte rote Mähne fuhr.
„Wenn Sie die ganze Sache natürlich lieber abblasen, soll es mir auch recht sein.“
Diesmal, als sie innehielt, hörte er ihren unterdrückten Fluch.
„Sie kamen mir nur so entschlossen vor, dass ich damit rechnete, dass Sie sich melden würden. Und als Sie es nicht taten, dachte ich …“
Ein weiterer Fluch, lauter und gröber als der Erste, folgte. Roman spürte, wie seine steifen Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Komisch, und dabei hatte er nach jener Nacht gedacht, nie wieder einen Grund zum Lächeln zu bekommen …
Das Leben steckte voller Überraschungen.
„Ach, verdammt, Falconer – wenn Sie ausgehen wollen, dann rufen Sie mich an! Wenn nicht, soll’s mir recht sein. Ich werde nicht neben dem Telefon hocken und warten wie Ihre anderen Bekanntschaften.“
Als sie auflegte, sprang er auf, spulte das Band zurück und ließ es noch einmal ablaufen.
Während ihre unverwechselbare Stimme erneut erklang, nippte Roman an seinem Brandy und ermahnte sich, dass jede weitere Verbindung zu dieser Frau ein Fehler sein würde.
Ein Fehler, der sich als so fatal erweisen würde, wie er unvermeidlich war.
Dieser verdammte Falconer! Drei Tage nach ihrem Gespräch mit O’Malley im Audubon Park hieb Desiree wütend auf ihre Tasten ein, um die Notizen eines Interviews mit einem zum Tode verurteilten Verbrecher abzutippen.
„Sei vorsichtig“, sagte Karyn und blieb an ihrem Schreibtisch stehen. „Wenn du weiter so auf die armen Tasten einhaust, wirst du heute mit abgebrochenen Fingernägeln
Weitere Kostenlose Bücher