Sein Blut soll fließen: Thriller (German Edition)
Reisetasche. Sie sah schwer aus.«
»Und?«
»Und er hatte... er hatte ein Schießeisen.«
»Wie das hier?«, fragte Jay und schwenkte die MP5.
»Nein, nein, bloß so’ne Pistole.«
»Eine Pistole? Das ist alles?«
»Alles, was ich gesehen habe.«
»Mmm. Sie haben sonst nichts gesehen? Keine Fallen?«
»Fallen?«
»Ja, Tierfallen, Tellereisen oder so.«
»Ich hab nichts in der Art gesehen.«
Jay hatte seinen Rundgang durch den Raum abgeschlossen. Er ging wieder vor Creech in die Hocke. Das war seine Show. Er führte sie nicht so sehr für Creech auf – der sich ohnehin von Anfang an vor Angst in die Hose gemacht hatte -, als für seine eigenen Männer. Er wollte diejenigen unter ihnen, die ihn noch nicht kannten, gebührend beeindrucken. Er brauchte ihren Respekt, ihre Loyalität und sogar ein gewisses Quantum Angst. Nur dann konnte man Gehorsam erwarten.
»Sonst noch etwas, Mr. Creech?«
Er wusste, solange er weiter fragte, würde Creech weiter erzählen. Er würde so lange weiter erzählen, bis auch das kleinste Detail raus wäre, weil er wusste, dass er andernfalls leicht wieder anfangen könnte zu bluten.
»Na ja«, sagte Creech, »er hatte vorher so Schilder gemacht.«
»Schilder?« Jay runzelte die Stirn. »Was für Schilder?«
»Er hat sie so bearbeitet, dass sie wie alt aussahen. Das waren Warnschilder, für die Insel.«
»Wovor genau haben sie gewarnt?«
»Na, dass das Sperrgebiet wäre. Dass die Insel mit Anthrax verseucht wäre.«
Jay stand wieder auf und lachte. »Das ist ja irre!«, sagte er. Er wandte sich zu Hestler, der lächelte, ohne die Pointe begriffen zu haben. Hestler hatte kurzgeschorenes schwarzes Haar, einen langen schwarzen Bart und ein Gesicht, dessen Pigmentflecken durch eine ganzjährige Sonnenbräune verborgen wurden. »Weißt du, was er macht?«, fragte Jay. Hestler gestand, dass er das nicht wusste. »Er verstreut diese Schilder halb versteckt in der Gegend, so, als hätte er sie aus dem Boden gerissen. Wenn wir eins finden, geraten wir seiner Meinung nach in Panik. Und während wir in Panik geraten, knipst er uns mit seiner Spielzeugpistole aus.«
»Was ist Anthrax?«, fragte der andere Chicano.
»Ein Gift«, erklärte Jay. »Ein Zehnmillionstel Gramm davon ist bereits tödlich. Es stimmt schon , dass die Army in den Fünfzigern damit experimentiert hat.« Er wandte sich wieder zu Creech. »Hab ich Recht?«
Creech nickte. »Aber die Insel, die Sie meinen, liegt nördlich von hier.«
»Und steht auf keiner Landkarte?« Wieder nickte Creech. »Ja, das war vielleicht seine Überlegung. Er sucht sich eine Insel aus, um die sich die Kartographen nicht gekümmert haben, und versucht, es so aussehen zu lassen, als wäre sie verseucht. Zu kompliziert, Gordon. Viel zu kompliziert.« Er wandte sich zu Choa. »Nimm Watts und Schlecht und fangt an, das Zeug reinzutragen.« Choa ging mit den zwei Männern nach draußen. Watts war lang und dünn wie ein Schilfrohr, aber überraschend stark. Jay war in einem Armdrück-Wettbewerb im Sportklub gegen ihn angetreten und hatte 300 Dollar darauf gewettet, dass er in weniger als einer Minute gewinnen würde. Watts hatte ihn in exakt elf Sekunden geschlagen.
Schlecht war jemand, den Watts kannte, und das war so ziemlich alles, was Jay über ihn wusste. Er war klein, aber breit, mit dicken Bizepsen und einem Stiernacken – der Ollie zum Stan Laurel, den Watts abgab. Schlecht hatte sogar Hardys Schnurrbart, dazu aber das Gesicht eines Raubtiers, voller Macken und Narben und Bösartigkeit.
Die übrigen drei im Team hatte Hestler vorgeschlagen, was für Jay eine ausreichende Empfehlung war. Sie waren Brüder: Hector, Benny und Carl. Aus irgendeinem Grund verrieten sie ihren Nachnamen nicht. Sie schienen die schwächsten Glieder in der Kette zu sein, hatten während des ganzen Flugs von LA bloß die Augen aufgerissen, waren wahnsinnig gespannt darauf gewesen, Hotels und Paris und Autoverleihfirmen von innen zu sehen, als sei Europa ein einziger großer Themenpark. Einer von ihnen hatte sogar eine Kamera mitgenommen, die Jay allerdings sofort konfisziert hatte.
Hestler räumte ein, dass sie sich wie kleine Jungs benahmen, aber er hätte sie schon bei Straßenkämpfen erlebt. Wenn sie erst mal loslegten, sagte er, waren sie richtige Dreckskerle. Er vermutete, dass sie ihre gesamte moralische Erziehung aus Videospielen und Spaghetti-Western bezogen hatten.
Sie mussten ein paarmal hin und her laufen, bis das ganze Gepäck ausgeladen
Weitere Kostenlose Bücher