Sein Bruder Kain
Konversation zu machen, aber wir könnten uns erkundigen.« Sie setzte sich auf den Stuhl, den er für sie freigemacht hatte, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Röcke zu ordnen.
»Caleb Stone oder Stonefield. Ich glaube nicht…« Er hielt inne. Er hatte sagen wollen, daß sie wohl nichts von dem Mann wissen konnte, aber ihr veränderter Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, daß sie sehr wohl etwas wußte, und zwar nichts Gutes. »Was?« fragte er.
»Nur daß er gewalttätig ist«, erwiderte sie. »Callandra hat Ihnen das sicher auch schon gesagt. Wir haben gestern abend darüber gesprochen. Nach wem suchen Sie?«
»Nach Angus Stonefield, seinem Bruder.«
»Warum?«
»Weil er verschwunden ist«, sagte er scharf. Er fühlte sich plötzlich unbehaglich, ja beinahe schuldbewußt, als verleugnete er einen Teil seiner selbst; es war absurd, daß er ihr gestattete, solche Gefühle in ihm zu wecken. Denn es stimmte nicht. Er mochte und bewunderte viele ihrer Eigenschaften, aber auf der anderen Seite gab es auch Dinge an ihr, die er mißbilligte und die eine ständige Quelle des Ärgers für ihn waren. Er war immer absolut ehrlich in dieser Hinsicht gewesen, was man auch von ihr sagen konnte. Sie waren durch gewisse Ehrenschulden aneinander gebunden, aber das war auch alles. Und um Himmels willen, mehr wollte sie doch auch nicht. Aber vielleicht war es aufgrund vergangener Ereignisse seine Pflicht, sie darauf hinzuweisen, welche Gefahren auf sie lauerten, wenn sie ihre Zeit in einem Pesthaus verbrachte.
»Wird er wegen irgendeines Vergehens gesucht?« unterbrach sie seine Gedanken.
Der Anflug von Mildheit verflog. »Natürlich wird er gesucht«, sagte er schroff. »Seine Frau sucht ihn, seine Kinder suchen ihn, und seine Angestellten ebenfalls. Das ist eine idiotische Frage!«
Eine tiefe Röte verdrängte die Blässe ihrer Wangen, und ihre Schultern versteiften sich.
»Ich meinte, ob er polizeilich gesucht wird«, sagte sie eisig.
»Ich hatte vorübergehend vergessen, daß Sie auch untreuen Ehemännern nachspüren, wenn ihre Frauen Sie damit beauftragen.«
»Er ist nicht untreu«, erwiderte er mit gleicher Kälte. »Der arme Teufel ist höchstwahrscheinlich tot. Und ich würde das für jeden tun… Seine Frau ist von Sinnen vor Gram und Sorge. Sie hat genau das gleiche Recht auf Mitleid wie jeder der Unglücklichen hier in diesem Krankensaal.« Er wies wütend auf die große, mit Stroh und Decken gefüllte Halle, obwohl ihm, noch während er diese Worte aussprach, ein viel größeres Mitleid für die Menschen, die dort lagen, die Kehle zuschnürte. Nicht viele von ihnen würden die Krankheit überleben, und das wußte er. Er war wütend auf Hester, nicht auf diese Menschen.
»Wenn er tot ist, William, können Sie nicht viel mehr für die arme Frau tun, als einen Beweis dafür finden«, meldete Callandra sich gelassen zu Wort. »Selbst wenn Caleb ihn getötet hat, werden Sie das vielleicht nie beweisen können. Was braucht die Polizei, um seinen Tod als gegeben hinzunehmen? Wollen sie eine Leiche sehen?«
»Nicht, wenn ich Zeugen finden kann, die seinen Tod bestätigen«, erwiderte er. »Die Polizei weiß nur zu gut, daß die Flut Leichen ins Meer hinaustragen kann, die man niemals wiedersieht.« Er wandte sich an Callandra und ignorierte Hester völlig. Das gedämpfte Licht, der Geruch nach Kerzenwachs, Gin, Essig und feuchten Steinen, der alles andere überlagerte, war einfach ekelhaft. Dazu kam noch die Angst vor dieser furchtbaren Krankheit. Diese Angst saß nicht in seinem Gehirn; für ein solches Gefühl hätte er nur Verachtung übriggehabt. Callandra und Hester waren Tag und Nacht hier. Aber sein Körper wußte es, und sein Instinkt befahl ihm zu gehen, und zwar schnell, bevor diese Krankheit ihre Krallen nach ihm ausstrecken und ihn berühren konnte. Hesters Mut rief Gefühle in ihm wach, die er nicht wollte. Gefühle, die schmerzlich waren, widersprüchlich und beängstigend. Und er verabscheute sie dafür, daß sie ihn verwundbar machte.
»Wenn wir irgend etwas in Erfahrung bringen, lassen wir es Sie wissen«, versprach Callandra, bevor sie sich mit einiger Mühe erhob. »Ich fürchte, Caleb Stones Ruf läßt Ihre Theorien mehr als wahrscheinlich erscheinen. Es tut mir leid.«
Monk hatte noch nicht alles gesagt, weswegen er hergekommen war. Er hätte gern länger in ihrer Gesellschaft verweilt, aber es war nicht der rechte Zeitpunkt dafür. Er bedankte sich ein wenig steif bei ihr, nickte
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