Sein Bruder Kain
versprochenen Bett im Ankleidezimmer und Kleidung zum Wechseln von Dingle, die ihr einigermaßen paßte.
Enid war sehr krank. Sie hatte so hohes Fieber, daß sie nicht zu wissen schien, wo sie war, und Hester nicht einmal erkannte, wenn sie ganz sanft auf sie einredete, ihr ein kühles Tuch auf die Stirn legte oder sie beim Namen rief. Sie hatte fortwährend Durst und war so schwach, daß sie nicht ohne Hilfe trinken konnte, aber immerhin gelang es ihr, das abgekochte und mit Honig und Salz versetzte Wasser, das Hester ihr gab, bei sich zu behalten. Ihrer Miene war abzulesen, daß das Gebräu sehr unangenehm schmeckte, aber Hester wußte aus Erfahrung, daß Wasser allein dem Körper nicht die notwendigen Nährstoffe geben konnte, und so ließ sie sich von Enids geflüsterten Protesten nicht beirren.
Ungefähr gegen halb zehn am Abend klopfte es an der Schlafzimmertür, und als sie öffnete, fand sie sich einer Frau gegenüber, die vielleicht ein oder zwei Jahre älter war als Hester selbst, deren Gesicht jedoch, wie sie sofort bemerkte, weit hübscher war als das ihre, mit einer natürlichen Offenheit, die ihr auf Anhieb gefiel.
»Ja?« fragte sie. Die Frau war schlicht gekleidet, aber sowohl der Stoff als auch der Schnitt ihres Gewandes waren exzellent und ihre Aufmachung insgesamt viel schmeichelhafter, als man es einer Dienerin zugestehen würde. Sie wußte, noch bevor sie etwas sagte, daß dies die Verwandte war, die Lord Ravensbrook angekündigt hatte.
»Ich bin Genevieve Stonefield«, stellte die Frau sich vor. »Ich bin gekommen, um Ihnen bei der Pflege Tante Enids zu helfen. Ich habe gehört, daß sie schrecklich krank ist.«
Hester öffnete die Tür ein wenig weiter. »Ja, ich fürchte, das stimmt. Ich bin sehr dankbar, daß Sie gekommen sind, Mrs. - Stonefield sagten Sie?« Der Name klang irgendwie vertraut, aber sie konnte ihn im Augenblick nicht einordnen.
»Ja.« Sie trat ein wenig nervös ein und warf gleichzeitig einen Blick auf das große Bett, in dem Enid mit weißem Gesicht und nassem Haar, das ihr an der Stirn klebte, lag. Das Zimmer wurde nur von der Gaslampe an der gegenüberliegenden Wand erleuchtet, die ein sanftes Zischen von sich gab und lange Schatten an die Wand warf. »Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte sie. »Ich - ich habe noch nie jemanden gepflegt außer meinen eigenen Kindern, und da ging es immer nur um Erkältungen und Schnupfen - nichts wie das hier. Robert hatte einmal eine Mandelentzündung, aber das kann man wohl kaum vergleichen.«
Hester begriff sofort, daß Genevieve große Angst hatte, und sie konnte es ihr nicht verübeln. Für sie selbst war eine solche Krankheit nur erträglich, weil sie schon vieles in der Art erlebt hatte. Sie konnte sich noch gut an ihre erste Nacht im Lazarett von Scutari erinnern. Sie hatte sich so unzulänglich gefühlt, hatte jedes Stöhnen und jede noch so schwache Bewegung wahrgenommen. Die Minuten hatten sich dahingeschleppt, als würde es nie wieder Tag werden. Die nächste Nacht war sogar noch schlimmer gewesen, weil sie nun wußte, wie lang und verzweifelt sich die Stunden hinziehen würden. Wenn sie hätte fortlaufen können, hätte sie es getan. Nur das Mitleid für die Männer und die Scham über sich selbst hielten sie an ihrem Platz.
»Sie können kaum etwas tun, um ihr zu helfen, außer ihr das Wasser aus diesem Krug zu geben.« Hester schloß die Tür und deutete auf den kleinen blauen Porzellankrug auf dem Nachttisch. »In dem anderen ist nur klares Wasser für die Tücher, mit denen Sie sie so kühl wie nur möglich halten müssen. Waschen Sie ihr Stirn, Hände und Hals so oft es geht. Alle zehn Minuten, wenn Sie den Eindruck haben, daß es ihr Linderung bringt. Sie hat sich nur ganz am Anfang übergeben, seither nicht mehr, aber falls sie in dieser Hinsicht in Not geraten sollte, müssen Sie darauf gefaßt sein. Da drüben steht eine Schale.« Sie zeigte Genevieve, was sie meinte.
»Vielen Dank«, antwortete Genevieve heiser. Sie sah zutiefst erschrocken aus. »Sie gehen doch noch nicht sofort, oder?«
»Nein«, versicherte Hester ihr. »Und wenn ich gehe, dann nur ins Nebenzimmer, um ein paar Stunden zu schlafen.« Sie zeigte auf die Tür des Ankleideraums. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich mich das letzte Mal hingelegt habe, aber ich glaube, daß es vorgestern war, obwohl das wahrscheinlich nicht stimmt.«
»Ich wußte gar nicht, daß sie schon so lange krank ist!« Genevieve war entsetzt. »Warum hat Lord
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