Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
an Helena. »Brenda, werde erst einmal ruhig und denk nach. Du brauchst einen klaren Kopf. Stell dir vor, wie er neben dir geht – und was dann passiert ist. Erzähl uns, was du siehst und hörst … du bist Peters größte Chance.«
Nachdem Lynne sicher war, dass Eve wieder eingeschlafen war, da sie eine Schlaftablette mit drei Gläsern Rotwein runtergespült hatte, holte sie den Raphiabast-Ordner unter der Decke auf dem Sofa hervor. Er fühlte sich nicht an wie eine Kunstmappe voller DIN-A4-Blätter, sondern eher wie ein Sammelalbum. Lynne war beinahe belustigt, als sie sich in ihrem Sessel zurücklehnte, die Beine unter sich zog und dabei Eve beobachtete, wie sie schnarchte. Sie hatte ihre Schwester gerade wieder bei einem ihrer kleinen Spielchen erwischt. Und dies könnte etwas gefährlicher werden. Sie öffnete die Mappe, starrte auf das, was sie sah, und ihre Belustigung verwandelte sich in Übelkeit.
Der Ordner war voll, und zwar nicht nur mit Ausdrucken aus dem Internet, sondern auch mit Zeitungsausschnitten über Eves Unfall und darüber, dass Neil Thompson schon einmal wegen Gefährdung der Verkehrssicherheit freigesprochen worden war. Und über den Verteidiger, der diesen Freispruch erwirkt hatte, einen Mr. Douglas Munro. Eve hatte alles über ihn ausgegraben, jeden Fall, bei dem er vor Gericht angetreten war, und darüber hinaus jeden Bauantrag, den er nach Änderung seines Geschäftsfeldes gestellt hatte. Sie hatte sogar eine Seite aus dem Jahrbuch der Privatschule, die er besucht hatte, aus dem Internet heruntergeladen und einen alten Zeitungsbericht über einen Zwischenfall bei einer Schulwanderung zum Berg Lord Berkeley’s Seat. In der Zeitung gab es ein Foto von einer zerklüfteten Felsspitze irgendwo am Ende der Welt; Douglas war nach dem Ausflug in ein Krankenhaus eingewiesen worden, unter anderem wegen Unterkühlung. Dazu gab es einen Schnappschuss von Douglas und seiner Mutter vor dem Haus in der Kirklee Terrace; sein Bild vom Schulabschluss, Arm in Arm mit seiner Mutter, und die Visitenkarte von Munro-Immobilien. Lynne war nun neugierig geworden – sie blätterte durch die Seiten, fand aber keine Bilder von Mrs. Douglas Munro oder der Hochzeit. Und, so fiel Lynne auf, es gab nichts über den Unfall, durch den Eve zum Krüppel geworden war und wegen dem Thompson eine Freiheitsstrafe erhalten hatte. Douglas hatte damit überhaupt nichts zu tun gehabt.
Für jemanden, der sich nicht einmal ohne Hilfe ankleiden konnte, hatte Eve einiges zusammengebracht – es sei denn, jemand anderes hatte es für sie erledigt. Jemand, der groß genug war, um im Vorbeigehen ein Bild an der Wand zu streifen, jemand, der eine Schachfigur auf dem Sideboard umstieß, ohne es zu bemerken? Lynne blieb an der abgegriffenen Fotokopie eines Fotos hängen, das Neil Thompson zeigte, wie er nach seinem ersten Prozess wegen Gefährdung der Verkehrssicherheit im Besitz seines Führerscheins und als freier Mann aus dem Gericht auf die Straße trat, gefolgt von Douglas Munro. Einige Monate später hatte sich Thompson eine halbe Flasche Wodka einverleibt und war in Eves Wagen gekracht. Und in Eve.
Lynne atmete langsam aus. Okay, Eve wusste also Bescheid. Sich die Informationen zu beschaffen hätte jeder tun können. Aber das hier … das grenzte an Besessenheit und war eine ganz andere Sache. Thompson saß im Gefängnis, außerhalb ihrer Reichweite. Douglas hingegen nicht, im Gegenteil, er war in ihrer Nähe, und das gefährdete seine Sicherheit. Lynne faltete die Fotokopie wieder zusammen. Was sollte sie deswegen unternehmen? Zuerst musste sie herausfinden, wer Eve half. Und sie wusste genau, wen sie da zu fragen hatte.
Auf der anderen Straßenseite brannte bei Stella noch Licht. Lynne sah auf die Uhr, zog sich Mantel und Schuhe an, öffnete die Tür und schlich hinaus. Wenn irgendwer das Haus aufsuchte oder verließ, würde Stella McCorkindale darüber Bescheid wissen.
Auf dem Sofa schlug Eve die Augen auf, reckte sich und lächelte hinterhältig.
»Sind Sie sicher, dass Sie sich das antun wollen?«, fragte Quinn. »Sie müssen nicht, das wissen Sie.«
Colin Anderson nickte, biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab.
»Er ist mein Sohn«, sagte er leise. »Lassen Sie es einfach laufen.«
»Colin«, beharrte Quinn. »Wir müssen uns beeilen. Von Peters Verschwinden haben wir innerhalb einer Stunde erfahren, also müssen wir sofort zuschlagen. Es wäre von mehr Nutzen, wenn Sie Brenda
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