Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
abgeschickt hast?«
»Du solltest sie dir auf jeden Fall ansehen, schließlich hast du sie ja angeblich gemacht. Sie sind im Computer.«
Eve rollte ein Stück in Richtung Küche, fuhr dabei den nächsten dicken Kratzer in die Fußleiste und blieb vor der Küchentür stehen. »Möchtest du was trinken?«
»Ja, bitte«, antwortete Lynne und drückte das Flugblatt fest an die Brust.
»Dann bring mir doch auch was mit, wenn du schon dabei bist.«
Lynne drehte sich um und prallte mit dem Rollstuhl zusammen. »Kannst du nicht irgendwo anders im Weg stehen?«, knurrte sie und zwängte sich seitlich durch die schmale Lücke. »Und wer ist eigentlich hier gewesen?«
»Niemand.«
»Er war jedenfalls groß genug, um an das Bild im Flur zu stoßen!«
»Warst wahrscheinlich du selbst, als du rausgegangen bist.«
»Ach, und ich habe auch die Tapete aufgerissen?«
»Nein, das war ich, aber um das zu entdecken, muss man ein Zwerg sein und schielen. Beeil dich, ich verdurste! Ich bin so ausgetrocknet wie das Suspensorium eines arabischen Ringers.«
Genervt schloss Lynne die Augen und ging in die Küche, wo sie sofort zu fluchen begann. Eve grinste; ihre Schwester fluchte für gewöhnlich nie.
Sie rollte hinterher. Die Küche sah aus wie ein Trümmerfeld, überall lag Papier von Crunchies oder Kit Kats, und von dem Battenburg-Kuchen fehlte die komplette Marzipanhülle, aber dafür konnte man Zahnabdrücke sehen. Jemand hatte zwei leere Coladosen in die ungefähre Richtung des Mülleimers geworfen. »Was hast du gegessen, Eve?«, fragte Lynne trocken.
»Noch nicht genug.« Eve ließ ihren Kopf kreisen, als habe sie einen steifen Hals, und das Fett der Schultern schwabbelte zuerst in die eine und dann in die andere Richtung. Sie sah völlig verunstaltet aus.
»Und hast du die Bilder von Squidgy wirklich an die Zeitung gemailt? Die brauchen sie morgen.«
»Ja, ich habe doch gesagt, mein Genie schläft nie.«
»Deine Bescheidenheit auch nicht. Hoffentlich ist er wenigstens niedlich und fröhlich geworden.« Lynne legte ihre knochigen Hände auf die Wasserhähne und schaute aus dem Fenster, wobei ihr Eves Kichern nicht entging. »Was sage ich? Du hast etwas Schreckliches angestellt, oder?«
Eve zwinkerte nur. »Sie werden es ganz wunderbar finden. Santa Claus wird von Squidgy eingemacht. Ich dachte, es wäre vielleicht ein bisschen zu heftig, wenn ich ihn ein Rentier bumsen lasse.«
»Manchmal kann ich dich einfach nicht mehr begreifen. Wir leben zufällig von diesen Bildern, du dumme Kuh. Wir zahlen davon unsere Rechnungen. Nur deswegen haben wir ein Dach über dem Kopf.«
»Mein Dach. Dein Kopf«, berichtigte Eve.
Lynne knirschte mit den Zähnen und sah sich die Schweinerei auf der Arbeitsfläche an. »Und wieso kannst du das ganze Zeug aus dem Schrank holen, es aber nicht zurückstellen?«
»Wahrscheinlich habe ich dafür ein spezielles Talent.«
»Ach, sei still«, fuhr Lynne sie an und machte sich auf die Suche nach dem Computer.
Allein in der Küche stellte Eve das Radio an, und einen Moment später erfüllten die zarten Klänge von »Tambourine Girl« den Raum. Sie legte den Kopf nach hinten, summte mit – Say hello to the tambourine girl – und starrte aus dem Fenster. Das Wetter hatte sich immer noch nicht entschieden, ob es schneien wollte. Sie rollte ihren Stuhl rückwärts und schob sich in den Flur, von wo sie Lynne sehen konnte. Halb schloss sie die Augen, und halb beobachtete sie ihre Schwester, die auf die Entertaste drückte, um den Monitor aus dem Ruhezustand zu wecken.
Die E-Mail von dem Spendenbüro bei der Zeitung erschien. Super, super, super!! Dürfen wir sie alle benutzen? Squidgy ist ein Superstar.
Lynne drehte sich um. Eve schien in der Küchentür zu dösen oder hörte Radio. Lynne setzte sich und sah sich die anderen E-Mails an. Eve war fleißig gewesen. Sie hatte an ein paar Comics gezeichnet und außerdem Künstlerbedarf bestellt. Dann fiel ihr ein E-Mail-Ordner mit dem Namen Gerichtshof des Sheriffs, Archiv-Abteilung ins Auge . Lynne bekam Herzklopfen, als sie begriff, was Eve möglicherweise recherchiert hatte. Oder besser, über wen sie Erkundigungen eingeholt hatte. Sie schob den Cursor über das Icon und klickte darauf. Ein Warnhinweis in einem Hinweisfenster blinkte auf: »Lass die Finger von meinem Computer, du neugierige Kuh!«
5
Das durchweichte Flugblatt, auf dem nach Luca Scott gesucht wurde, hing nur noch an einem Zipfel. Costello lehnte sich an den Laternenpfahl
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