Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
angesichts des Wetters, des schlechten Lichts und der vielen Menschen ist auch nicht besonders viel zu erkennen.«
»Da inzwischen auch Troy verschwunden ist, müssen wir es uns nochmals gründlich anschauen.« Quinn übernahm wieder. »Troy McEwen trug lediglich Leggins und ein leichtes Fleece-Oberteil – wenn er sich also im Freien herumtreibt, dürfte ihm ganz schön kalt sein. Zuletzt gesehen wurde er gestern um halb vier nachmittags. Und zwar auf einer Schaukel im Horselethill Park …« – sie tippte auf die Karte – »… zusammen mit seiner Mutter. Die Frau saß laut Beschreibung zusammengesunken auf einer Bank am Spielplatz. Die Identität der Frau ist nicht hundertprozentig bestätigt, da die Zeugin ihr Gesicht im Dunkeln nicht erkennen konnte, doch sagte Mrs. Moxham, die ihren Hund ausführte, sie habe beide nicht zum ersten Mal dort gesehen. Troys Mutter besitzt einen auffälligen Afghanen. Einen Mantel, nicht einen Hund. Mrs. Moxham ist aufgefallen, dass der Junge offenbar keine Jacke trug. Sie wissen, wie das Wetter gestern war: regnerisch und trüb mit Schneeregen. Die Temperaturen gingen bis minus drei Grad runter. Trotzdem wurde Troy erst heute Morgen vermisst gemeldet, und zwar von einer Nachbarin. Die Spurensicherung hat jede Menge Fußabdrücke bis zum Gummiboden des Spielplatzes gefunden, doch die sind von zweifelhaftem Wert. Außerdem haben wir ein wenig Blut gefunden, das noch untersucht wird; allerdings ist es sehr wenig, nicht genug, um auf Gewalt hinzudeuten.«
»Andererseits ist es auch kein Grund, Gewalt auszuschließen«, wandte Kate Lewis schulmeisterlich ein.
Entrüstet fragte Irvine: »Ist die Mutter denn einfach ohne den Kleinen nach Hause gegangen?«
»Die Nachbarin, die die Vermisstenanzeige erstattet hat, eine gewisse Miss Cotter, hat eine sehr brauchbare Aussage gemacht. Sie ist eine nette alte Dame, die im gleichen Stock wohnt wie Troy«, berichtete Lewis und reichte Fotokopien der Aussage herum. »Daraus können Sie entnehmen, dass es nicht ungewöhnlich war, wenn Troy allein nach Hause kam. Die Wohnung befindet sich um die Ecke vom Park, sehr nah, auch wenn man befahrene Straßen überqueren muss. Der Park gehört offenbar zu den Orten, an denen sich seine Mutter gern zum Trinken niedergelassen hat, daher war er gewöhnt, allein nach Hause zu gehen, und wenn die Wohnungstür abgeschlossen war, hat Miss Cotter ihn zu sich genommen. Heute Morgen ist ihr aufgefallen, dass er nicht da war – die Tür zur Wohnung der McEwens stand anscheinend offen –, und Troys Mutter, Alison, lag betrunken auf dem Sofa und umklammerte ein Fläschchen mit Tabletten.«
»Warum hat sie nicht gedacht, Troy sei schon nach draußen gegangen?«
»Wenn sich Troys Mutter mal wieder in diesem Zustand befand – also betrunken war –, ging Troy hinüber zu Miss Cotter, um dort zu frühstücken. Heute Morgen jedoch nicht …«
Anderson las sich Miss Cotters Aussage durch und konnte sich die Sache nur allzu gut ausmalen: eine moderne Fassung von Hänsel und Gretel, nur ohne das Happyend. Troy McEwen kannte sich mit sieben Jahren bereits gut genug aus, um sich im dunklen Straßenlabyrinth zwischen Horselethill Circus und Byres Road zurechtzufinden. Er kannte seine Umgebung und wusste, die Wohnungstür war nicht abgeschlossen, wenn seine Mum zu Hause war. Und wenn nicht, musste er nur an Miss Cotters Tür mit der Briefkastenklappe rappeln. Dort wurde er dann eingelassen und bekam Pommes zu essen. Anderson würde einen Besen fressen, wenn Troys Alltag nicht nach diesem Muster abgelaufen war, seit der Vater die Familie verlassen hatte. Er dachte an Peter und dessen Leben voller Drachen und Goldfische. So hätte das Leben dieses kleinen Jungen auch aussehen sollen.
Gail Irvine hob zögerlich die Hand. »Nach den Befragungen in der Nachbarschaft sieht es so aus, als wäre Troy nicht der einzige regelmäßige Besucher bei Miss Cotter gewesen. Sie kümmert sich wohl um einige der vernachlässigten Kinder in der Gegend.«
Quinn nickte. »Das sollte man auf jeden Fall im Auge behalten.« Sie drehte sich zur Wand und zeigte auf die Planquadrate, die sie bereits durchsucht hatten. Anschließend deutete sie auf die konzentrischen Kreise um die Stelle, an der Troy zuletzt gesichtet worden war. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde der Radius des Suchgebiets größer. Die Entführungsorte lagen nicht einmal eine halbe Meile auseinander, am Ende würden die Mannschaften also dieselben Gegenden nach Troy
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