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Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Titel: Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caro Ramsay
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bannen konnte. Sie hob die Kamera, stand zwischen der Tür und dem Wagen, einen Fuß auf dem Trittbrett, sie stützte sich mit den Ellbogen auf das Dach, und sie stellte das Objektiv scharf. Sie wartete, bis die Türkentaube den Kopf drehte und …
    Schweißgebadet erwachte Eve. Stets erwachte sie kurz vor dem Zusammenstoß, aber die Erinnerung konnte sie damit nicht aufhalten. Sie sah, wie sie sich dem Motorengeräusch zuwandte, das zu nahe kam. Eine zerschmetterte Windschutzscheibe und dahinter – das Gesicht. Der Augenblick dazwischen, der eigentliche Aufprall, war gnädigerweise ausgelöscht, dennoch würde sie dieses Gesicht niemals vergessen, diesen vor Entsetzen wie ein Fischmaul geöffneten Mund, ehe der Wagen zurücksetzte und davonjagte, weil der Fahrer sie für tot hielt. Ja, das Gesicht dieses betrunkenen Scheißkerls würde sie ihr Leben lang nicht vergessen.
    Eve Calloway starrte in die Dunkelheit. Hilflosigkeit war nicht ihr Ding; das war ihr einmal passiert und hatte einen bitteren Geschmack hinterlassen. Als das fette Kind in der Schule war sie ständig verprügelt worden, und man hatte ihr außerdem das Geld für das Mittagessen geklaut. Und Lynne trat nie für sie ein. Da hatte sie gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen – sie lächelte angesichts der Ironie dieser Worte.
    Die Experten für Querschnittlähmung konnten selbstverständlich alle gehen. Sie verstanden sich hervorragend darauf, ihr zu erklären, dass sie auf ihre Haut aufpassen musste, auf ihre Füße und auf ihre Blase. Sie schärften ihr ein, das Badewasser mit den Händen und nicht mit den Füßen zu prüfen. Sich niemals dicht ans Feuer zu setzen, weil sie eher riechen würde, dass ihr Fleisch verbrannte, bevor sie es spüren konnte. Und so riecht der Wundbrand … wenn Sie das riechen, rufen Sie sofort an. Am schlimmsten für Eve war es, einfach ignoriert zu werden. Sie konnte sich vielleicht damit abfinden, ihr Leben mit dem Kopf auf Beckenhöhe der anderen zu verbringen. Und wenn sie sich zum Beispiel mit Douglas Munro unterhielt, erinnerte sie ihn zu gern genau an diesen Umstand. Brachte man den Dominoeffekt der Kausalität mit ins Spiel, traf Douglas mindestens eine Teilschuld daran, dass sie im Rollstuhl saß. Ihr selbst genügte das. Und ihre dumme Schwester machte es wütend.
    Sie entschied, sich im Schlafzimmer auf den Boden zu legen. Die rot leuchtenden Ziffern der Uhr standen auf 11:55.
    Eigentlich war sie damit zufrieden, im Dunkeln zu liegen und zuzuschauen, wie die Minuten verstrichen, zu lauschen, wie jemand unglaublich schlecht einparkte und auf den Bordstein fuhr, wie die Zentralheizung hypnotisch klickte. In der Stille seufzte sie und genoss das Warten. Zumindest lag sie nicht schon die dritte Nacht unter einem Haufen Schutt in Pakistan, und sie war auch kein kleines Kind, das entführt worden war. Sie hatte es warm und behaglich, und die Teile ihres Körpers, die nicht bequem lagen, spürten davon nichts.
    Sie öffnete die Augen, schob sich ein wenig hin und her und brachte sich in eine günstigere Lage. Lynne hatte ihre Anrufe ignoriert. Also wäre es angebracht, ihr ein paar Schuldgefühle einzuflößen. Aus diesem Grund musste Eve wach bleiben und sofort nach ihr rufen, sobald die Schwester heimkam. Lynne würde ihren Goldgräber um Hilfe bitten, da Eve zu schwer war, um von Lynne allein gehoben zu werden. Eine ganze Dose Jaffa Cake … Eve lachte vor sich hin. Sie konnte die linke Seite ihres Hinterns nicht fühlen, spürte jedoch, dass sich der Boden hineindrückte, genau dort, wo sie das Geschwür gehabt hatte. Es hatte eine Absolventin der Eva-Braun-Schwesternschule sieben Monate gekostet, das bis zur Heilung zu pflegen, wobei sich die alte Haut schichtweise mit den Pflastern gelöst hatte. An dieser Stelle war sie immer noch dünn wie Pergament und kräuselte sich an den gesunden Rändern, als wäre sie in der Mitte viel zu straff gezogen. Sie konnte sich vorstellen, dass die Haut noch einmal aufplatzte wie die San-Andreas-Verwerfung. Dann begann sie zu singen: »These Boots Are Made For Walkin’«. Oder vielleicht waren diese Stiefel doch nicht zum Gehen gemacht, wie der Fall hier lag. Die Uhr war gerade auf 12:15 gesprungen, als sie den Audi vorfahren hörte, und Celine Dion dröhnte aus der Stereoanlage. Der Motor wurde abgestellt. Um 12:27 hörte sie das Quietschen des Gartentors, daraufhin das Klackern von Lynnes Pumps auf dem Weg, ein kurzes Gespräch, schließlich die Tür, die geöffnet und

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