Sein letzter Fall - Fallet G
wäre besser gewesen, wenn ich ihn wenigstens selbst hätte umbringen können, dachte er verbissen und trank einen großen Schluck Bier. Dann hätte ich zumindest eine Hand im Spiel gehabt.
Der Gedanke war natürlich erschreckend, er sagte so einiges über seine wahren Beweggründe aus, aber wie üblich war es wahrscheinlich besser, den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Sich den eigenen Motiven zu stellen, das tut weh, aber wenn du weiterkommen willst, ist das der einzige Weg! Das hatte Mahler irgendwann gesagt – oder geschrieben –, und so war es wohl auch. Sich etwas vorzumachen, das war einfacher, und es gab keine Belohnung dafür, es nicht zu tun. Außer, dass man sich selbst wiedererkannte.
Er trank noch einmal von seinem Bier und nahm ein paar Lungenzüge. Betrachtete ein paar Sekunden lang einen Mann, der allein an einem Tisch schräg gegenüber saß und tief schlief, das Kinn auf der Brust.
Eine Gnade, die man sich erflehen sollte?, dachte Van Veeteren düster.
Und diese Leere! Jaan G. Hennan hatte mit seiner Tat eine Leere hinterlassen, das war auch sonderbar. Natürlich kann man jemanden noch hassen, wenn er tot ist, konstatierte er, aber es erscheint doch ziemlich sinnlos.
Als hätte G. sich in irgendeiner Weise seiner Strafe entzogen, aber war es nicht auch so? Doch, genau das war natürlich der Punkt. Im letzten Moment – obwohl er das Spiel verloren hatte – hatte er selbst sein Schicksal bestimmt. Statt dem die Rache zu gönnen, dem sie rechtmäßig zustand.
Nämlich
Hauptkommissar
Van Veeteren.
Verflucht noch mal, dachte er. Wenn ich gläubig wäre, könnte ich mir zumindest einbilden, dass die Rache des Herrn ist.
Er trank sein Bier aus und bestellte noch eines. Ich weiß nicht einmal, wie der Mord an Barbara Hennan abgelaufen ist, kam ihm in den Sinn. Eine Weile dachte er über diesen Aspekt nach. Vielleicht war das das Schlimmste, wenn man alles in Betracht zog. Das, was am höhnischsten und am wenigsten zu akzeptieren war. Dass G. in gewisser Weise gestanden, aber nicht gesagt hatte, wie er vorgegangen war. Ein höhnisches Lachen, dann war er gestorben.
Ein höhnisches Lachen, dann war er gestorben? Das klang ja fast wie ein Buchtitel.
Nach allem zu urteilen hatten nur zwei Menschen etwas gewusst. Hennan und Verlangen. Beide waren tot. Das Spiel war aus, und sie hatten ihr Wissen mit ins Grab genommen. Kein Mensch würde jemals erfahren, was mit der schönen Amerikanerin an dem bewussten Abend in Linden vor fünfzehn Jahren geschehen war. So war es nun einmal.
Oder war dem nicht so? Gab es vielleicht noch jemanden? Einen quicklebendigen Täter? Den Helfer?
Weiß der Teufel, dachte Van Veeteren, und dann begann er darüber nachzudenken, was um alles in der Welt sie Elizabeth Nolan sagen sollten, wenn diese in ihrem Krankenhausbett erwachte.
Die Wahrheit?
Es gab viele gute Gründe, ihr diese vorzuenthalten. Zumindest Teile davon. Wie gesagt, es war einfacher, ein wenig zu schummeln. Mit der Wahrheit ist es so eine Sache, nicht immer hat sie auch etwas mit Menschlichkeit zu tun.
Nun ja, fasste er zusammen, das ist auf jeden Fall nicht mein Problem. Immerhin etwas.
Er trank auch das zweite Bier aus und rauchte noch eine Zigarette. Betrachtete den schlafenden Mann eine Weile und spürte, dass er selbst langsam so weit abgestumpft war, dass auch er vermutlich ein paar Stunden Schlaf finden könnte. Trotz allem.
Und mit dieser frommen Hoffnung im Hinterkopf verließ er die Blaue Barke.
Als er vor Bausens Haus ankam, war es Viertel vor eins. Bausen hatte sich bereits schlafen gelegt, und Van Veeteren selbst kroch mit einem Gefühl der Scham und des schlechten Gewissens seinem Gastgeber gegenüber ins Bett.
Das muss ich ihm gegenüber irgendwie wieder gut machen, bevor ich morgen abreise, dachte er. Es kann nicht besonders vergnüglich sein, mit so einem wie mir Tag und Nacht klarkommen zu müssen.
Absolut nicht.
45
Inspektorin Moerk hatte gedacht, sie könnte den Sonntag mit Mann und Kindern verbringen, aber schon um acht Uhr rief der Polizeichef bei ihr an und bat sie, ihn doch zu einem Gespräch mit Elizabeth Nolan ins Krankenhaus zu begleiten.
Beate Moerk war klar, dass es die weibliche Empfindsamkeit war, die mal wieder erwünscht war, und einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihn nicht zur Hölle wünschen sollte. Aber es gelang ihr, ihre Zunge im Zaum zu halten, und nach einigen Diskussionen erklärte sie sich zu zwei Stunden bereit gegen das Versprechen, in der kommenden
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