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Sein letzter Trumpf

Titel: Sein letzter Trumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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zweimal war es kein Problem gewesen, und es würde wohl auch an diesem Abend kein Problem sein.
    Um zum Zahlmeister zu kommen, mussten sie noch einmal mit dem Aufzug fahren. Noelle schluckte oft, atmete durch den Mund und umklammerte die Armlehnen des Rollstuhls; sie brauchte den anderen Leuten im Aufzug nichts vorzuspielen.
    Das Büro des Zahlmeisters war an einer Seite offen, zu einer nach innen liegenden Lobby mit einer brusthohen Theke hin. Der Zahlmeister selbst war anwesend, mit zwei von seinen Assistentinnen, alle drei in der blau-goldenen Uniform. Er wollte, dass sie ihn Jerry nannten, und er begrüßte sie mit einem breiten Lächeln: »Hey, Mike. Wie geht’s, Jane Ann? Macht die Fahrt Spaß?« Niemand fragte jemals, ob man gewonnen oder verloren hatte, das galt als unfein.
    »Nicht besonders, Jerry«, erwiderte Noelle und schluckte schwer.
    Jerry wirkte bekümmert, als meinte er, das Schiff sei daran schuld, und Mike beugte sich dicht zu ihm und sagte: »Ich weiß, wir gehen Ihnen auf die Nerven, Jerry, weil wir ständig eine Extrawurst wollen –« Da klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch hinter der Theke, und eines der Mädchen nahm ab.
    »Kein Problem, Mike«, sagte Jerry. »Ich sehe ja, dass Jane Ann für heute genug hat. Ihr müsst wieder in die Lounge runterkommen, ihr erinnert euch?, und – Entschuldigt mich.«
    Das Mädchen, das ans Telefon gegangen war, wollte Jerry kurz sprechen, und der hielt ihr das Ohr hin, während er weiter Mike und Noelle ansah.
    Eine seltsame Folge der vielen Stunden im Rollstuhl war, dass Noelle die anderen in einer ganz anderen Perspektive wahrnahm. Die waren jetzt alle groß, und sie war klein. Wenn sie im Rollstuhl saß, war sie zu klein, um auf die Oberfläche der Theke zu sehen, konnte aber daran vorbei schräg nach oben Jerry und seine Assistentin sehen, die leise, aber so, dass Noelle es noch verstand, zu ihm sagte: »Der Kassierer sagt, sie bekommen kein Geld mehr von unten.«
    Jerry zeigte keine Reaktion, sondern lächelte weiter Mike und Noelle zu. »Was?«
    »Die Leute wollen jetzt ihre Chips einlösen«, sagte sie, »und schicken die Chips runter, aber es kommt kein Geld rauf.«
    Da haben wir’s, dachte Noelle. Drei Minuten vor halb zwei auf der großen Uhr an der hinteren Wand des Zahlmeisterbüros. Jetzt fängt der haarige Teil an. Früher oder später kommen Cops an Bord, und die werden wissen wollen, ob es heute abend irgend etwas Besonderes gegeben hat, irgendwelche seltsamen oder ungewöhnlichen Passagiere, und werden sie sich dann auch mit einem Mädchen im Rollstuhl befassen? Früher oder später vielleicht schon, aber nicht, wenn sie längst von Bord gegangen und auf und davon ist.
    »Entschuldigt mich«, sagte Jerry, wandte sich von ihnen ab und tätigte rasch einen Anruf. Vier Ziffern. Hausgespräch. Anruf im Tresorraum. Warten. Horchen. Warten. Verwirrt dreinschauen.
    Genau halb zwei. Jerry legte auf, stand eine Sekunde ganz still, schaute stirnrunzelnd hierhin und dorthin, versuchte sich klarzuwerden, was er tun sollte. »Jerry?« fragte Mike. »Irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, nein«, sagte Jerry. »Nur ein, äh, Verständigungsproblem. Entschuldigt mich einen Moment.« Er machte noch ein Hausgespräch, und diesmal meldete sich gleich jemand.»Jerry hier. Wir bekommen nichts aus dem Tresorraum, und als ich gerade unten angerufen habe, ist keiner rangegangen. Kannst du den Mann oben an der Treppe anpiepsen? Kannst du dann jemand rüberschicken, nachsehen, was los ist? Danke, Doug.«
    Mike machte ein besorgtes Gesicht. »Jerry? Gibt es ein Problem?«
    »Ich bin sicher, dass es keins gibt«, versicherte ihm Jerry. »Vielleicht haben die einen Stromausfall da unten, wer weiß. Die gehen sich das ansehen.«
    Vertraulicher denn je sagte Mike: »Jerry, der Grund – Wissen Sie, ich bin für Jane Ann verantwortlich.«
    »Ich weiß, Mike, und Sie machen Ihre Sache –«
    »Ja, schon, aber wissen Sie, wenn es hier Probleme gibt – Jerry, ich muss das Mädchen heimbringen.«
    »Keine Sorge, Mike, wir kriegen Jane Ann nach Hause, es gibt absolut nichts, was dagegen spricht. Mein Wort drauf, okay?«
    »Macht es Ihnen was aus«, fragte Mike, »wenn wir hierbleiben, damit wir mitbekommen, was los ist? Nur, damit wir rechtzeitig Bescheid wissen. Ich meine, wenn ich den Rettungshubschrauber anfordern muss, sollten wir das jetzt gleich wissen –«
    Jerry wurde bleich, aber er fasste sich. »Wenn das nötig werden sollte«, sagte er, »werden wir

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