Sein Wille geschehe (German Edition)
im Allgemeinen als bescheiden be zeichnet hätte. Lena fragte sich im Stillen, ob Jamie auch Freunde besaß, die als Maurer oder bei Abfallbeseitigung der Stadtwerke tätig waren . Der Motor erstarb. Während sie ausstiegen, zwinkerte der Chauffeur Lena freundlich zu und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
» Wenn Ihnen gefällt, wie er Sie behandelt, lassen Sie sich ruhig auf ihn ein« , raunte er ihr im Vorbei gehen zu. »Er weiß, was er tut.«
Lena erwiderte nichts auf dessen merkwürdige Empfehlung und beeilte sich, Jamie nicht aus den Augen zu verlie ren. Eine junge Frau öffnete ihnen, und sie traten ein.
»Zieh deinen Mantel aus« , ordnete Jamie an . Lena fügte sich und übergab ihn der geduldig wartenden Frau. Jamie nahm sie bei der Hand und zog sie in den mit einer Vielzahl an Gästen gefüllten Raum hinein. Die meisten von ihnen riefen ihm einen kurzen Gruß zu , den er stets gutgelaunt erwiderte. Auch Lena wurde mehr oder weniger interessiert gemustert, jedoch von niemandem angesprochen.
» Jamie, hey, Jamie !« Lena drehte sich in Richtung der Stimme. Ein schlan ker Mann um d ie Vierzig bahnte sich einen Weg durch die Menge und trat auf sie zu. Jamies Miene erhellte sich.
» David, alter Knabe! Sch ön, dich zu sehen !« Sie schlugen kameradschaftlich ihre Handflächen aneinander und kickten sich gegenseitig an die Schulter.
»Du bist wieder mal for to long in good old Germany gewesen« , stellte Davi d in gebrochenem Deutsch fest, » und hast forgotten, dass man in diese land English sprickt.«
»Tut mir leid« , griff Jamie den Vorwurf sogleich auf und setzte die Unterhaltung auf Eng lisch fort, » du hast völlig recht. Wenn es auch durchaus Vorteile hat , mehrere Sprachen zu be herrschen , trägt es zweifellos dazu bei, dass man ab und zu vergisst, wo man sich gerade befindet .«
»Was soll´s«, sagte David leichthin, » jedenfalls freue ich mich, dass dein Weg dich mal wieder zu meiner be scheidenen Hütte geführt hat .« Erst jetzt wechselte seine Aufmerksamkeit hinüber zu Lena , die schaudernd den Blick seiner grauen Augen auffing . Obwohl sie ihm keinen Anlass dazu geboten hatte , spürte sie die unverhohlene Geringschätzig keit , die er ihr entgegenbrachte . Verunsichert rückte sie an Jamie heran. Davids Brauen hoben sich spöttisch.
» Und wer ist das ?« , fragte er, ohne seine Musterung zu unterbrechen . » Ein neue r Zögling ?«
»Das wird sich erst zeigen müssen« , antwortete Jamie ausweichend.
Wie selbstverständlich legte David seinen Zeigefinger unter Lenas Kinn und hob es an , um sie besser betrachten zu können . Empört entzog sie sich seiner Berührung und wich einen Schritt vor ihm zurück. Was glaubte dieser Chauvinist, das sie war?
David schenkte ihr ein anzügliches Grinsen. » Ihre m ungebrochenem Stolz nach zu urteilen e in Wildfang .« Jamie deutete ein Nicken an, und David fügte hinzu: »N icht ungefährlich, MacAlister. A ber wenn es sich lohnt …« Er kniff die Augen zusammen und musterte Lena etwas eingehender. Ein mokantes Lächeln zuckte um seine Lippen. » Weißt sie schon, was ihr widerfahren ist, oder hast du es bislang verschwiegen ?«
» Sie wird es früh genug erfahren . Und jetzt l ass sie in Ruhe , Da vid«, beendete Jamie zu Lenas gro ßer Erleichterung mit ruhiger Stimme die offensive Kontaktaufnahme seines Freundes.
Nur zögernd ließ David seine Hand sinken und bemerkte mit zynischem Unterton: »Wie schaffst du es bloß immer wieder, dass sie dir freiwillig in den Schlund der Hölle folgen? Wie dem auch sei. Solltest du ihrer irgendwann überdrüssig werden, sag Bescheid. Ich habe ein Faible für graue Mäuse. Ihre Erziehung gestaltet sich weit interessanter als die von Stuten , die bereits ein Zeichen tragen und um ihren Marktwert wis sen. Sie geben sie sich erheblich mehr Mühe, sich die Gunst ihres Herrn zu erhalten .«
Jamie, der über den Verlauf des Gesprächs nicht besonders glücklich schien, nickte beiläufig und wechselte rasch das Thema. Für eine Weile waren die beiden Männer in eine Diskussion über rentable Fonds und andere Wertanlagen vertieft, ohne sich in irgendeiner Weise um Lena zu kümmern oder sie in ihr Gespräch miteinzubeziehen. S chließlich verabschiedete David sich von Jamie und wünschte ihm einen schönen Abend.
Lena, die dem auf Englisch geführten Gespräch nur leidlich hatte folgen können, war maßlos verwirrt. W as hatte dieser David bloß gemeint, als er sie als Jamies neuen Zögling
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