Sein
streichelte ihr über die Wange, fuhr die Kontur ihrer Lippen nach, Kinn und Hals hinab, zog Kreise auf ihrem Dekollete, und stoppte erst am Ansatz der Korsage, knapp über ihrer Brustwarze. Seine Berührung war zärtlich und weckte in Myriam das Verlangen nach mehr. Würde er so frech werden, wie vorhin? »Du bist hungrig nach Berührung, und du würdest eine hübsche Sub abgeben, wenn ich dir alles Nötige beigebracht habe.« Seine Stimme hatte ein weiches, fast schmeichelndes Timbre angenommen. Sie musste aufpassen, dass er ihr damit nicht die Sinne verdrehte. »Die nötigen Regeln, wie Gehorsam, Demut, und Lust am Schmerz.«
Falls er tatsächlich ein Auge auf sie geworfen hatte und glaubte, sie würde sich ihm bereitwillig hingeben, so irrte er sich. Sie mochte nach sexueller Erfüllung lechzen, aber nicht um jeden Preis, und sie würde gewiss nicht seine Lustgespielin werden und schon gar nicht nach seiner Pfeife tanzen.
»Vergiss es.« Myriam stieß ihn von sich. »Such dir ein anderes Opfer.«
»Hast du etwa Angst, dich deinen Begierden zu stellen?«
Myriam lachte laut auf. »Nein, gewiss nicht. Aber A) bist du nicht mein Typ. Und B) denke ich nicht daran, mich irgendeinem Mann unterzuordnen. Die Zeit der Sklavenhaltung gehört zum Glück in die Rubrik Geschichte.«
»Warum bist du hier, wenn du dich nicht vergnügen willst?«, fragte Ruben gelassen und schaute sie über den Rand seines Glases an, während er trank. Konnte man den Typen denn mit Nichts provozieren?
»Das hab ich dir doch schon gesagt. Damit ich mich nicht zu Hause langweile. Und aus alter Freundschaft, das ist alles.«
Ruben drehte das Glas in seiner Hand, nahm einen weiteren Schluck, als wolle er Zeit gewinnen und nachdenken. »Du bist neugierig, hm? Du wolltest mal sehen, was auf so einer BDSM-Party los ist. Und? Genügt dir schon, was du hier gesehen hast? Du hast noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt.«
»Ach ja?« Es war wohl besser den Mund zu halten. Wenn sie jetzt zuviel sagte, hätte er die Bestätigung, dass sie wirklich keine Ahnung hatte.
Rubens Miene wurde plötzlich ernst. »Leo hat seine Sub ein bisschen gezüchtigt und dann gevögelt, na und? Glaub mir, das ist noch gar nichts.«
Wieso sagte er das? Glaubte er, das hätte ihr Angst eingejagt?
Er leerte sein Glas und stellte es auf dem Thresen ab. »Wenn du wirklich wissen willst, was BDSM bedeutet, lass es mich wissen. Dann zeig ich’s dir.«
Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er hinaus.
Zwiespältige Gedanken
Seit einer Viertelstunde surrte die Nadel der Maschine gleichmäßig über den Unterarm des Mannes, der es sich auf dem Behandlungsstuhl bequem gemacht hatte. Ungeachtet der jahrelangen Routine erforderte diese Arbeit stets vollste Konzentration. Jeder Fehler war in Rubens Augen unverzeihlich, auch wenn sich kleine Patzer in der Regel geschickt kaschieren ließen. Sein persönlicher Stil ließ solche Retuschen zu, sein Stolz hingegen nicht. Jedes Bild sollte ein vom ersten bis zum letzten Stich gelungenes Kunstwerk sein, einzigartig und überzeugend in seiner Perfektion.
Es war schon eine Weile her, dass es Ruben so schwer gefallen war, gedanklich ganz und gar bei der Arbeit zu sein. Seine Motive und sein Stil, eine besondere Mischung aus Jugendstilformen und Realismus, fanden mittlerweile viele Liebhaber. Feine Schattierungen in der Ausführung, rabenschwarze Konturen mit Teilfüllungen in Gelb und Rot. Nachahmer gab es, aber keiner erreichte Rubens hohes Niveau.
Der Anfang war erwartungsgemäß schwer gewesen. Um seinen Traum zu finanzieren hatte Ruben einen Teilzeitjob bei der Post angenommen, bis er sich einen Namen in der Tattooszene erarbeitet hatte. Mittlerweile hatte sich die unnachahmliche Qualität seiner Tattoos weit über die Grenzen der Stadt herumgesprochen und seine Kunden kamen von weit her und aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten. Sein Terminkalender war auf Monate im Voraus gefüllt und Ruben war nach Jahren mit Geldsorgen endlich in der Lage, von den Einnahmen sorgenfrei leben. Nur sein Privatleben war in letzter Zeit ein wenig zu kurz gekommen, das sollte sich allmählich wieder ändern.
Spanische Gitarrenmusik klang aus den Lautsprechern. Für gewöhnlich bevorzugte Ruben guten alten Rock’n’Roll, die Musik der 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Es beflügelte ihn bei der Arbeit und sorgte für ausreichende Ablenkung der Kunden, denn Ruben unterhielt sich nicht gerne, während er ein
Weitere Kostenlose Bücher