Seine einzige Versuchung
ausdrücken wollte über ein plötzlich aufgetretenes Unwohlsein. Er wusste nicht, was über ihn gekommen war - für gewöhnlich ging er keiner Konfrontation aus dem Weg. Auch der Umgang mit Frauen war ihm normalerweise nicht unangenehm. Er verhielt sich zwar distanziert, aber nicht gehemmt oder ausweichend. Benthin ermahnte sich zur Vernunft. Doch seine Gedanken verselbständigten sich immer wieder. Es ist nur eine Geburtstagsfeier für die kleine Tochter eines Freundes... eines guten Freundes... eines sehr guten Freundes... meines einzigen väterlichen Freundes... und sie wird einundzwanzig... sie sollte bald einen Mann finden... sie sollte einen Mann in ihrem Alter finden… keinesfalls einen fast fünfzehn Jahre älteren Einsiedler, der beim Anblick ihrer zarten, aufblühenden Weiblichkeit und angesichts ihres leidenschaftlichen Auftritts auf unmoralische Gedanken kommt... Schluss jetzt! Er war entsetzt über seinen Wankelmut und rief sich zur Raison. Entschlossen bestellte er seinen Kutscher zu einer Uhrzeit, die es ihm ermöglichen würde, nicht der erste Gast zu sein und sich einfach unter die anderen Gäste zu mischen, um das Gespräch mit ihnen zu suchen. Er würde Elli nur kurz gratulieren und anschließend einfach ihre Nähe meiden. So würde er die Feier überstehen, überzeugte er sich halbherzig.
Elli zitterte kaum merklich, als die Türglocke zum ersten Mal läutete. Sie hoffte inständig, es möge nicht Benthin sein, denn dann wäre sie gezwungen gewesen, ihn sofort zu empfangen und sich mit ihm mindestens so lange zu unterhalten, bis die nächsten Gäste eintrafen. Erleichtert stellte sie fest, dass es sich um eine befreundetes Ehepaar ihrer Eltern nebst linkischem Sohn handelte, der aus Sicht ihrer Mutter zweifellos ein geeigneter Kandidat für Elli war, schon allein aufgrund seiner großbürgerlichen Herkunft. Elli konnte dieses Bürschchen nicht als Mann ernst nehmen, sondern sah in ihm lediglich ein affektiertes, aufgeblasenes Kind neureicher Eltern. Dennoch gab sie sich nun freiwillig und freundlich mit ihm und seinen Eltern ab. Sie spannte die Gäste in ein Gespräch ein - immer mit einem bangen Ohr zum Klingeln an der Tür, das weitere Gäste ankündigte. Irgendwann waren schon so viele Gäste eingetroffen, dass in Elli die Hoffnung aufkeimte, Benthin würde vielleicht gar nicht mehr erscheinen, doch da irrte sie sich. Sie hatte sich gerade mit diesem hoffnungsvollen Gedanken angefreundet, als die Türglocke erneut zu hören war. Sobald er den Raum betrat, spürte Elli seine Anwesenheit. Ganz gezielt hatte sie sich in der Ecke des Raumes aufgehalten, die am weitesten von der großen Flügeltür entfernt lag, durch die die Gäste hereingebracht wurden. Und doch war seine Präsenz förmlich greifbar. Sie vertiefte sich zum Schein in ein Gespräch mit der ältesten Schwester ihrer Mutter. Irgendwann würde er sie zwangsläufig begrüßen und ihr gratulieren müssen, aber sie wollte das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszögern.
Benthin hatte Elli sofort beim Betreten des Raumes gesehen. Ihr Rücken war der Tür zugewandt, und sie stand in der hinteren Ecke. Durch seine Größe fiel sein Blick direkt über die Menge hinweg auf sie. Er wollte es so rasch wie möglich hinter sich bringen und dann für den Rest des Festes auf größtmögliche Distanz gehen. Also ging er geradewegs auf sie und ihre Gesprächspartnerin zu, eine ältere Dame, die ganz angetan zu ihm aufblickte. Seine maskuline Erscheinung war auch für Frauen ihrer Generation ein erfreulicher Anblick und ließ sie für einen Moment ihr Alter vergessen. Elli bemerkte, dass ihre Tante durch etwas abgelenkt wurde und drehte sich - entgegen ihrer ursprünglichen Absicht - um. Benthin stand nun direkt vor ihr und sah ihr in die Augen. Er nahm ihre Hand. Nach einer Pause, die ihr wie Stunden vorkam, sprach er endlich. Sie konnte nicht sprechen - ihre Kehle war wie zugeschnürt. Seine Nähe ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen. Sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging.
„Herzlichen Glückwunsch, Elli. Vielen Dank für die Einladung. Ich habe ein Geschenk vorne auf den Tisch zu den anderen gelegt, nur eine Kleinigkeit. Ich hoffe, es gefällt Dir. Ich..." Er verstummte, seine Stimme war leiser als üblich. Er duzte sie einfach so wie früher. Er hörte sich sprechen, fühlte sich aber nicht wirklich anwesend. Ihm war, als stünde er neben seiner Unsinn stammelnden Hülle und könne nicht mehr zurück, um endlich
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