Seine einzige Versuchung
vorsichtig wieder ab, schob sie ein wenig von sich weg und betrachtete ihr Gesicht, als sähe er sie zum ersten Mal. Es schien fast, als fehlten ihm die Worte. Er stammelte etwas unbeholfen herum:
„Du bist so schön… Wie erholt Du aussiehst. Ich weiß gar nicht… Wie geht es Dir? Komm, ich nehme Deine Tasche.“ Elli wollte keinesfalls, dass er die Tasche, in der sie seine, aber auch Kabus‘ Briefe mit sich trug, an sich nahm. Hektisch schnappte sie nach den Griffen, bevor er es tun konnte und kam gleich zum Punkt:
„Die nehme ich lieber selber. Es geht mir wirklich gut - ich brauche den Aufenthalt auf dem Land eigentlich gar nicht.“ Er stutzte kurz und fragte dann:
„Vermisst Du denn Deine Eltern gar nicht nach der langen Zeit? Sie haben jedenfalls oft nach Dir gefragt.“
„Ich habe ihnen doch mehrmals geschrieben. So lange war ich ja nun auch wieder nicht weg.“ Wieder überraschte er sie mit seinem unverhofften Geständnis:
„Mir kam es schon ziemlich lange vor…“ Er streichelte ihre Wange und schlug vor:
„Warum fahren wir nicht zusammen zu Deinen Eltern, vielleicht morgen oder übermorgen? Dann kann Frau Roth sich in der Zwischenzeit um Deine Sachen kümmern.“
„Hast Du denn so viel Zeit?“ Er verblüffte sie erneut - was war in den vergangenen Wochen mit ihm geschehen?
„Ich nehme sie mir einfach. Wir sind alle so froh, dass Du wieder gesund bist.“
„Ich auch. Dein Hausarzt hatte wirklich Recht. Ich will gleich noch zum Frauenverein gehen und mitteilen, dass ich wieder voll einsatzfähig bin.“ Benthin runzelte die Stirn. Ihr Vorschlag begeisterte ihn nur mäßig, aber da er wusste, was ihr der Verein bedeutete, hielt er sich mit Kritik zurück und ließ sie gewähren.
„Wir könnten auf dem Rückweg nach Hause dort vorbeifahren, dann musst Du Dich kein weiteres Mal auf den Weg machen. Die Reise war doch bestimmt anstrengend. Außerdem kannst Du mir dann endlich einmal die berühmte Suppenküche zeigen. Was hältst Du davon?“ Er klang beinahe euphorisch - wieder ein ungewohnter Zug an ihm. Früher wäre Elli begeistert von seinem Vorschlag gewesen, doch nun befürchtete sie, in der Suppenküche könnte die Sprache auf Kabus kommen. Spätestens bei diesem Reizthema wäre es vorbei mit Benthins guter Stimmung. Außerdem konnte sie nicht ausschließen, dass er sie womöglich durchschauen würde. Seine Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe waren nicht zu unterschätzen. Falls sie bei einer zufälligen Erwähnung ihres heimlichen Verehrers unbewusst eine verräterische Reaktion zeigen sollte, mochte das vielleicht niemandem sonst auffallen - ihm würde es sicher nicht entgehen. Sein Misstrauen war ohnehin schon geweckt durch seine Beobachtungen auf dem Karnevalsball. Es ging also keinesfalls an, dass er sie dorthin begleitete, auch wenn sie sich genau dies vor gar nicht allzu langer Zeit sehnlichst gewünscht hätte.
„Ich würde lieber zu Fuß hingehen. Dieses ewige Sitzen im Zug hat mich ganz müde gemacht. Ich brauche unbedingt etwas Bewegung und frische Luft.“ Sie hatte die Rechnung ohne seinen Eifer gemacht:
„Dann gehen wir zusammen hin. Ein Spaziergang tut mir auch ganz gut.“ Benthin war erheblich gelöster als noch vor Ellis Zusammenbruch. Die Aussicht auf ein paar Schritte durch die Straßen bei frühlingshaftem Wetter, noch dazu mit seiner gerade heimgekehrten, überaus anziehenden Ehefrau, war durchaus verlockend. Er ahnte nicht, wie er Elli damit in Bedrängnis brachte.
„Kommt denn Jakob heute nicht? Ich freue mich schon, ihn wieder zu sehen, aber es wäre schön, wenn Du heute noch einmal seinen Unterricht übernimmst.“ Benthin überkam das ungute Gefühl, dass sie ihn bewusst nicht dabei haben wollte. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, sie alleine gehen zu lassen, aber er behielt seine Befürchtungen für sich, um nicht gleich wieder einen Streit zu provozieren. Er konnte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, doch schon wenig später würde er seine Zurückhaltung an dieser Stelle noch bereuen…
„Ich kann seinen Unterricht auch weiterhin übernehmen. Wir sind mittlerweile ein ganz gut eingespieltes Gespann. Du solltest Dich noch etwas schonen, Elli.“ Sie nickte erleichtert.
Später verabschiedete er sie beim Verlassen des Hauses:
„Bitte bleib‘ nicht zu lange fort - Jakob und ich warten schon gespannt auf Deinen Bericht vom Meer.“ Elli musste seine Raffinesse anerkennen. Mit Jakob hatte er ein starkes Argument vorgebracht, das ihr
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