Seine einzige Versuchung
lange angestauten Gefühle überrollten sie nun mit aller Macht. Die Tränen schienen nicht versiegen zu wollen. Martha stellte ihr ein kühles Getränk hin und setzte sich zu ihr:
„So, nun mal ganz von vorne. Was ist passiert?“ Elli begann stockend zu erzählen, wie sie sich von Benthin vernachlässigt gefühlt und dies zum Anlass genommen hatte, sich im Frauenverein nützlich zu machen und bei dieser Gelegenheit Kabus kennenlernte. Martha schwante bereits, worauf Ellis Schilderung hinauslaufen würde, aber sie verkniff sich vorerst jeden Kommentar. Elli berichtete von ihrer - wie sie sich ausdrückte - Schwärmerei für Kabus und Benthins Eifersucht. Wesentliche Details auslassend - sie schämte sich zu sehr für das Geschehene und fürchtete Marthas Urteil - schloss Elli, es sei darüber zum Konflikt gekommen und sie habe sich schließlich entschlossen, zu gehen. Martha kam diese Darstellung recht zusammenhanglos und unvollständig vor. Sie gab sich nicht damit zufrieden und beharrte auf einem genaueren Bild. Stück für Stück eröffnete sich ihr das ganze Ausmaß der Katastrophe, die ihre schlimmsten Vorstellungen übertraf. Sie hätte niemals gedacht, dass Elli sich auf einen anderen Mann einlassen würde, allenfalls zu einem harmlosen Flirt. Auch wenn sie erschüttert war, sich so in ihr getäuscht zu haben, wollte sie Elli nicht aburteilen, ohne ihre Beweggründe für die Affäre verstanden zu haben. Nun musste Elli alle Karten auf den Tisch legen. Bislang hatte sie Benthin nur zaghaft wegen seiner wechselhaften Launen und Arbeitswut belastet. Das Bild des Schmerzes in seinen Augen war noch immer präsent. Es rührte sie an, und doch war sie außerstande, den wahren Grund dafür zu verstehen. Sie war noch immer zu verblendet von ihrer vermeintlichen Gewissheit, ihre Ehe und die sporadischen Bekundungen seiner Zuneigung seien für ihn nur Mittel zum Zweck gewesen. Ihr Stolz zwang sie, diese Überzeugung weiter aufrecht zu erhalten, denn dies war der einzig akzeptable Grund, mit dem sie ihr Fehlverhalten vor sich selbst überhaupt noch rechtfertigen konnte. Sie beichtete Martha auch die letzten Einzelheiten: seine geheimnisvollen Frauenbegegnungen und das Gespräch zwischen ihm und ihrem Vater. Beides stellte für sie den Beweis dar, dass er sie nicht aus Liebe geheiratet haben konnte , zumal - und sie schämte sich zutiefst, darüber zu sprechen - die Ehe gemäß den Worten ihrer Cousine nie wirklich vollzogen worden sei. Martha starrte Elli fassungslos an:
„Willst Du mir etwa damit sagen, er hat nie mit Dir…? Das glaube ich nicht! Der konnte doch seine Augen kaum von Dir lassen und hat Dich schon von Anfang an mit seinen Blicken ausgezogen!“
„Du meinst, seine merkwürdigen Blicke hätten sein Interesse an mir gezeigt? Sie sind mir natürlich aufgefallen, aber ich habe sie nie richtig verstanden.“
„Kind, weißt Du denn immer noch nicht Bescheid?! Als hätte ich es nicht schon am Abend Eurer Hochzeit geahnt, dass das noch ein schlimmes Ende nehmen würde, wenn Etepetete-Mütter wie Deine ihre Töchter von den wesentlichen Dingen im Leben fernhalten! Wie Ihr Euch einen reichen Mann angelt, das bringen sie Euch bei, aber was dann nach der Hochzeit geschieht, darüber wird sich schön vornehm ausgeschwiegen. Darüber spricht man in diesen Kreisen ja nicht! Und dann werden die wohlbehüteten, ahnungslosen Frauen wie die Lämmer zur Schlachtbank geführt! Naja, ich muss mir wohl selber auch einen Vorwurf machen, dass ich Dich nie darauf angesprochen habe, als klar war, dass Du heiraten würdest. Immerhin kenne ich Dich schon fast seit Deiner Geburt, und wir sind uns immer sehr nahe gestanden… Eigentlich spricht es doch für Deinen Mann, dass er Dich nie angerührt hat. Und er hätte es gerne getan - das konnte man ihm ansehen!“
„ Was um Himmels Willen hätte er denn mit mir tun sollen? Ich weiß nur, dass es angeblich wehtun soll, sonst nichts.“ Nun war die Stunde der Wahrheit gekommen. Es war nicht das erste Mal, dass Martha über dieses Thema zu jemandem sprach, der ihr nahestand. Im Gegensatz zu Ellis Mutter hatte sie sehr wohl dafür gesorgt, ihre beiden Töchter zu informieren, was sich zwischen Männern und Frauen in ehelichen Betten abspielte. Allerdings waren ihre Töchter deutlich jünger gewesen als Elli. Martha wollte, dass sie wussten, was es bedeutete, sich ganz auf einen Mann einzulassen. Vor allem warnte sie die Töchter vor der Gefahr, ungewollt schwanger zu werden
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