Seine einzige Versuchung
was sie wollte und ihre Interessen mit geradezu aufreizender Vehemenz vertrat. Kurzum: sie reizte ihn mehr als früher, als sie noch ein verhältnismäßig leichtes Opfer für ihn gewesen war. Das war ein neuer Aspekt, der sich angenehmerweise zu seinen Rachegelüsten hinzugesellte. In einem Gefühl erwartungsvoller Erregung, was dieser Abend noch bringen würde, entfernte sich Kabus mit einer übertrieben ritterlichen Verbeugung von Elli.
Sie atmete erleichtert auf. Ihr war, als könne sie die das Geschwätz der Beobachter dieser Szene aus dem allgemeinen Gemurmel geradezu heraushören. Die zwei tuschelnden Frauen, die Elli bereits beim Eintreffen durch ihre neugierigen Blicke aufgefallen waren, hatten offenbar nichts Besseres zu tun, als sich postwendend zu ihr zu gesellen, um sie mit geschmacklosen Fragen zu quälen. Elli hätte nicht gedacht, dass sich ihr Aufkreuzen ohne Benthin zu einem derartigen Spießrutenlauf entwickeln würde. Bitte, Julius komm endlich zu mir…
„Wo haben Sie denn Ihren Gatten gelassen?“, erkundigte sich die eine der beiden übertrieben freundlich in der Erwartung, Elli damit gehörig in Verlegenheit zu bringen und neue Nahrung für ihren Klatsch zu erhalten. Elli gelang es, gelassen zu reagieren und die boshafte Person auflaufen zu lassen:
„Ich kann Sie beruhigen. Er kommt heute von einer Geschäftsreise zurück und wird gleich hier eintreffen.“ Die zweite Dame - sofern ihr Verhalten diese Bezeichnung überhaupt zuließ - übertraf die erste an Taktlosigkeit bei Weitem. Mit einem Blick in die Richtung, in der Kabus verschwunden war, erdreistete sie sich:
„Sie waren aber sicher nicht sonderlich einsam während seiner Abwesenheit, nicht wahr?“ Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Da waren sowohl scheinheilige Empörung über Ellis vermeintliches Laster als auch gehässige Genugtuung, sie vorführen zu können. Elli riss sich zusammen, um nicht ausfallend zu werden. Angriff ist die beste Verteidigung - eine oft von ihrem Vater zitierte Weisheit, die ihr nun zugute kam:
„Darf ich fragen, wo Ihre Ehemänner abgeblieben sind?“ Zu einer Antwort kam es glücklicherweise nicht mehr, da die Gäste soeben aufgefordert wurden, sich einer Bühne mit einem Rednerpult zuzuwenden, um der Eröffnungsansprache für den Abend zu lauschen. Elli sah erleichtert, dass ihre Vereinskameradin zurückkam und war froh, als sie sich wieder zu ihr gesellte. Die beiden Klatschweiber hatten offenbar immer noch nicht genug und blieben hinter ihr und Elli stehen, damit ihnen auch ja keine Regung dieser neumodischen Frauenzimmer entging. Nach einer verhältnismäßig kurzen und durchaus erfrischenden kleinen Rede zur Begrüßung stand den Zuhörern noch die eigentliche Geduldsprobe bevor: die erfahrungsgemäß langatmige Ansprache des Bürgermeisters. Er neigte dazu, so weit auszuholen, dass am Ende kaum einer mehr wusste, worauf er eigentlich abzielte. Seine weitschweifigen Festreden veranlassten die Zuhörer, die ihn bereits erlebt hatten, binnen kürzester Zeit abzuschalten und sich den eigenen Gedanken hinzugeben, in der Hoffnung, endlich die ersehnten Worte zur Eröffnung des Buffets zu hören. Ellis Gedanken galten weniger dem Essen als vielmehr dem immer noch abwesenden Benthin, als sie plötzlich spürte, wie die Finger eines Mannes sachte die Fingerkuppen ihrer rechten Hand berührten. Sie zuckte zusammen in der schrecklichen Annahme, Kabus könne sich erneut an sie herangeschlichen haben und diese mehr als dreiste Annäherung wagen. Abrupt drehte sie ihren Kopf nach hinten und taumelte vor Erleichterung rückwärts gegen den großen, lächelnden Mann hinter sich - Benthin war zurück. Er hatte sich gleich einer Katze lautlos an den boshaften Megären vorbei bewegt und sich hinter Elli gestellt. Sie wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, was in dieser Situation zu ihrem Leidwesen ganz und gar unmöglich war. Elli spürte, wie es auch ihn danach verlangte, sie innig zu berühren und sah ihm an, dass er Kämpfe mit sich ausfocht, dies auf eine zurückhaltende Art zu tun, die kein Aufsehen erregte. Sie drehte ihm erneut den Kopf zu und deutete dezent mit ihren Lippen einen Kuss an, was er erwiderte. Er nahm ihre rechte Hand in seine und streichelte und drückte sie. Seine linke Hand schob er unter ihrem Arm hindurch an ihre Flanke und zog sie etwas näher an sich heran. Unvermittelt kamen Elli ihre beiden ganz speziellen Freundinnen in den Sinn, die vermutlich ziemlich genau
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