Seine einzige Versuchung
bekomme, weshalb Sie meinen, ich könne Gedanken lesen.“ Elli geriet immer mehr in Bedrängnis.
„Ich… weiß nicht, ob Sie es wirklich können. Sie scheinen es sich zumindest einzubilden… Bitte lassen Sie mich los.“ Er ließ in der Tat ihren Arm los, legte aber stattdessen zu ihrer Fassungslosigkeit seine Hand sanft auf ihre Wange, beugte sich vor und kam ihr dabei viel zu nahe. Seine Stimme nahm einen umschmeichelnden Ton an:
„Ist es in Wahrheit nicht so, dass ich Ihre Gedanken bisher ganz gut erraten konnte und Sie nichts vor mir verheimlichen können?“ Er lächelte wissend: „Und jetzt werden Sie gleich empört über meine Unverschämtheit sein…“ Elli wollte ihm nicht die Genugtuung verschaffen, mit seiner Prognose richtig zu liegen. Sie entzog sich seiner Nähe durch eine geschickte Drehung. Dann ließ sie ihn einfach stehen und ging seitlich mit möglichst großem Abstand an ihm vorbei. Sie war nicht weit genug von ihm entfernt, als dass er sie nicht hätte einfach packen können, und es juckte ihn für den Bruchteil einer Sekunde, dies zu tun. Aber er war zu sehr Kenner, um sich sein Spiel durch eine Handlung im Affekt zu verderben. Sie war noch nicht reif für eine derart stürmische Annäherung. Außerdem galt es, nicht zu vergessen, dass sie sich auf einem öffentlichen Weg befanden, wo sie jederzeit gesehen werden konnten. Er huschte also rasch hinter ihr her, um wieder neben ihr zu gehen, als ob nichts geschehen sei:
„Sehen Sie, Sie sind empört! Das zeigen Sie mir auch ohne Ihre vernichtenden Worte.“
„Ich möchte mich nicht weiter auf diesem Niveau mit Ihnen unterhalten!“ Elli war aufgebracht und wollte unter allen Umständen wieder mehr Distanz zwischen ihnen schaffen. Zu ihrer Erleichterung waren sie soeben am Ziel angekommen.
Abermals ging er den Frauen bei den schweren Arbeiten zur Hand. Kabus erntete großes Lob für den Vorschlag, regelmäßig ein oder zwei Männer aus der Garnison als Helfer vorbeizuschicken, da er - seinen Worten zufolge - nicht ständig seine eigentlichen Pflichten vernachlässigen könne. Es war nicht so, dass er seine beruflichen Pflichten allzu ernst nahm. Das wahre Motiv seines Handelns war ein anderes: zu seiner Überraschung erwies sich Elli als nicht so leicht zu beeindrucken, wie er es sich zunächst erhofft hatte. Er war immer noch davon überzeugt, dass sie in ihrer Ehe alles andere als glücklich war. Nur konnte er mit seiner bisherigen Strategie, permanent voller Dreistigkeit ihre Grenzen zu überschreiten, nicht wirklich bei ihr landen. Es sah ganz so aus, als läge ihr wirklich etwas an der pflichtbewussten Art ihres Ehemannes, auch wenn er sie nicht glücklich machte. Wenn es das war, was es brauchte, um sie zu überzeugen, würde er eben den pflichtbeflissenen , seriösen Seelentröster geben, auch wenn ihm diese Rolle nicht unbedingt leicht fallen würde. Immerhin stellte dies eine neue, interessante Herausforderung für ihn dar. Zunächst einmal wollte er sich rarmachen. Er war überzeugt, dass dies ihre Sehnsucht nach seiner Aufmerksamkeit steigern würde. Welchen besseren Vorwand gab es also, als unaufschiebbare Arbeiten vorzugeben? Als kostenlose Dreingabe sah er schon den Heiligenschein für mustergültigen Arbeitseifer über seinem Kopf blinken. Er rechnete sich aus, ihr damit endlich wirklich zu imponieren.
Mit seiner kühlen Kalkulation bewies er einmal mehr, welch ein ausgefuchster Stratege er war. Als er sich nun zwei Wochen lang nicht ein einziges Mal zeigte, meinte Elli schon, ihm Unrecht getan zu haben durch ihre Äußerungen, die seine Arbeitsmoral betrafen. Um seine Zuverlässigkeit zu demonstrieren, hatte er sein Versprechen, Hilfskräfte zu senden, kurzerhand wahr gemacht. Wann immer sie zu der Stelle kam, an der er sie zuletzt abgefangen hatte, ertappte sie sich dabei, wie sie sich kurz umschaute, ob er nicht vielleicht in der Nähe sei. Dann schalt sie sich eine alberne Gans. Doch heimlich sehnte sie sich mehr denn je nach seiner uneingeschränkten und schmeichelhaften Aufmerksamkeit, die er ihr bei jeder ihrer Begegnungen entgegen gebracht hatte, egal wie heftig sie ihn auch angiftete.
Benthin hingegen schuftete wie ein Berserker. Sich in den Reihen halsstarriger Magistratsmitglieder zu etablieren, die es vorzogen, an alten Werten festzuhalten, war ein zäher Kampf. Elli bekam ihn kaum noch zu Gesicht. Nach ihrer Entdeckung, dass er allem Anschein nach ein Doppelleben führte, zog sie es sogar vor, ihm
Weitere Kostenlose Bücher