Seine einzige Versuchung
zu verstehen, sich nun wieder um ihre Angelegenheiten zu kümmern und sie mit schmerzlichen Fragen in Ruhe zu lassen. Elli war dankbar für Frau Roths Taktgefühl. Zugleich vermisste sie Marthas unbefangene Art. Sie hätte sie zur Rede gestellt und wahrscheinlich so lange gebohrt, bis Elli jede Gefühlsregung vor ihr ausbreitete. Selbstverständlich hätte sie es nicht versäumt, sie gleichzeitig zu trösten. Elli überlegte, ob sie sich bei ihrem nächsten Besuch im Elternhaus der Köchin anvertrauen sollte. Sie blieb unschlüssig - irgendetwas erschien ihr nicht richtig an diesem Vorhaben. Andererseits: mit wem sollte sie sonst reden? Sie fühlte sich, als müsse sie ersticken an ihren Sorgen. Für einen Augenblick zog sie in Erwägung, sich ihrem Mann anzuvertrauen, was sie ebenso schnell wieder verwarf. Wie sollte ausgerechnet er ihr helfen können? Er war viel zu beschäftigt mit sich und seiner Arbeit und außerdem maßgeblich beteiligt an ihrem Kummer. Wie sollte er ihre Sorgen verstehen können, wo er doch selber die Ursache dafür war?
Einige Tage später ging Elli wie immer - entgegen aller Ratschläge - zu Fuß zur Suppenküche. Sie hatte sich wieder einigermaßen gefangen und war neu angespornt durch eine schriftliche Mitteilung, die sie erhalten hatte. Die Anzahl der Spender für die Bezahlung der Näherinnen wuchs stetig. In dem Schreiben wurde offiziell Anerkennung für ihren Einsatz ausgedrückt. Was man inoffiziell über sie redete, erfuhr Elli natürlich nicht. Vor allem in sehr konservativen Kreisen gab ihr Engagement durchaus Anlass zu Gerede, ganz besonders unter den Frauen. Sie gaben zwar großzügig Spenden, wollten sie sich doch nicht nachsagen lassen, knauserig zu sein, zumal es ja um eine gute Sache ging, wenn man das Militär unterstützte. Dennoch tuschelten sie hinter vorgehaltener Hand über die ungewöhnliche junge Frau und ihren Mann, der ihr eigentümliches Benehmen zu allem Überfluss offenbar auch noch billigte. Man war sich einig, dass solche Extravaganzen früher oder später ein böses Ende nehmen würden, egal wie ehrenhaft die Motive auch waren.
Auf der Höhe des Weges, an der Elli sich zuletzt überstürzt von Kabus entfernt hatte, wartete er auf sie. Er lehnte lässig an einer Hauswand. Als er sie herannahen sag, stieß er sich von dort ab, um auf sie zuzugehen:
„Hab‘ ich es mir doch gedacht, dass Sie sich immer noch keine Kutsche nehmen. Naja, heute ist es ja auch wieder etwas freundlicher draußen. Ich hoffe, das trägt zu Ihrem Wohlbefinden bei?“ Elli war vollkommen überrumpelt. Was sollte sie davon halten, dass er ihr auf halbem Weg entgegenkam? Sie hatte gehofft, ihm nach ihrem blamablen Gefühlsausbruch nicht so bald wieder zu begegnen. Außerdem musste er doch eigentlich seinen Dienst in der Garnison erfüllen. Sie hatte offenbar seine Entschlossenheit unterschätzt - wenn er etwas wollte, setzte er alle Mittel in Bewegung, um es zu bekommen. Und da sein Vorgesetzter sich immer noch auf Dienstreise befand, nahm er sich mehr Freiheiten heraus als sonst. Sie entgegnete reserviert:
„Danke, es geht mir gut. Was machen Sie hier?“
„Oh, heute so kühl? Ich warte auf Sie - was sonst?“
„Und - arbeiten Sie auch manchmal?“, stichelte sie nun.
„Aha, ich sehe, Sie sind wieder in alter Form! Reizend!“ Elli sah keine Notwenigkeit mehr für vornehme Zurückhaltung. Seine Art provozierte sie, er hatte sie vor einigen Tagen immerhin so weit gebracht, vor ihm in Tränen auszubrechen. Warum sollte sie also mit ihrem Urteil hinter dem Berg halten?
„Weiß Ihr erster Kommandant eigentlich, dass Sie andauernd den Dienst schwänzen?“
„Ich mache immer noch Vertretung für ihn, und Sie sind jetzt restlos davon überzeugt, dass er sich in mir als würdigem Stellvertreter getäuscht hat, richtig?“, neckte er sie.
„Ja. Und was er sicher auch nicht weiß, ist, dass Sie Gedanken lesen können…“ Kabus stellte sich vor Elli und hinderte sie so am Weitergehen. Er sah sie eindringlich an:
„So, kann ich das?“ Damit trieb er sie wieder in die Enge. Dabei hatte sie sich doch soeben durch ihre Bemerkung selber äußerst ungeschickt hinein manövriert. Sie versuchte, auszuweichen:
„Gehen Sie mir doch aus dem Weg, ich komme noch zu spät!“ Statt ihrer Aufforderung Folge zu leisten, trat er einen weiteren Schritt auf sie zu und fasste ihren rechten Oberarm.
„Ich lasse Sie keinen Schritt weitergehen, solange ich nicht eine Erklärung von Ihnen
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