Seine einzige Versuchung
ein lautes Krachen aus dem Erdgeschoss, das anscheinend aus dem Büro kam. Sie war aus dem Halbschlaf hochgeschreckt und wusste nicht, ob ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt hatte. Doch dann hörte sie das Geräusch erneut und war sich sicher, dass etwas im Haus nicht in Ordnung war. Ängstlich schlich sie barfuß im Nachthemd die Treppe hinunter und näherte sich dem Büro, wo sie die Ursache für den Krach vermutete. Zaghaft öffnete sie die Tür und blickte in den Raum. Es war dunkel. Im Lichtschein vom Flur erkannte sie Benthin, der inmitten eines großen Chaos mit gesenktem Kopf auf dem Boden saß. Sein Schreibtisch war leergefegt, um ihn herum lagen jede Menge Akten, der Kerzenleuchter und sonstige Utensilien waren wild über den Boden verstreut. Glücklicherweise hatte nichts durch die heruntergefallenen Kerzen Feuer gefangen. Elli stand wie versteinert im Türrahmen und fragte besorgt:
„Ist alles in Ordnung mit Dir?“ Benthin hatte sie erst jetzt bemerkt und blickte zu ihr hoch. Sein Gesicht wirkte verzweifelt. Sie war über seinen Anblick und das ihn umgebende Durcheinander entsetzt und wollte zu ihm gehen. Seine Augen weiteten sich plötzlich, und sein Blick wandelte sich von Verzweiflung in einen fast animalischen Ausdruck, der Elli noch weiter aufwühlte, beinahe sogar ängstigte. Er machte eine abwehrende Geste mit der Hand und schien bemüht, sie nicht anzusehen:
„Bitte, geh‘.“
Als sie zögerte, wiederholte er mit mehr Nachdruck, den Blick immer noch von ihr abgewandt:
„Geh‘!“ In Sorge um ihn unternahm Elli einen letzten Anlauf, auf ihn zuzugehen:
„Aber…“ Unbeherrscht fuhr er sie heftig an:
„Geh‘ endlich, und lass mich allein!“ Elli war erschüttert über seinen Ausbruch und schloss rasch die Tür hinter sich. Sie fragte sich, wie es möglich war, dass ein Mensch sich so verändern konnte. Seine eifersüchtige Reaktion war vielleicht nicht ganz unbegründet gewesen, aber dieser Anfall von Aggression erschien ihr maßlos übertrieben. Sie überlegte noch einmal kurz, ob sie sich wegen Kabus rechtfertigen sollte, aber wo nichts war, gab es auch nichts zu rechtfertigen. Jeder Erklärungsversuch würde sein Misstrauen vermutlich noch erhöhen und ihn umso wütender machen.
Als Elli sich am nächsten Vormittag auf den Weg zur Suppenküche machen wollte, fing Benthin sie im Flur ab:
„Es tut mir leid wegen gestern Abend.“ Seine schuldbewusste Miene brachte Elli beinahe dazu, ihm auf der Stelle zu vergeben. Sie hatte einfach eine Schwäche für diesen Mann. Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen, sein Verhalten war einfach unsäglich gewesen. Welches Recht hatte ausgerechnet er , ihr Vorwürfe zu machen? Was waren ihre harmlosen Begegnungen mit Kabus schon im Vergleich zu dem, was er offenkundig mit anderen Frauen tat?
„Wer im Glashaus sitzt…!“, warf sie ihm spitzzüngig an den Kopf. Er verstand nicht:
„Du sprichst in Rätseln, Elli.“
„Ich bitte Dich um dasselbe, worum Du mich gestern gebeten hast: verkauf‘ mich nicht für dumm! Ich mag zwar jung sein, aber nicht naiv!“ Damit verließ sie stolz erhobenen Hauptes das Haus. Benthin starrte verständnislos auf die Haustür, die sie krachend hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Kapitel 18
Der Faden, an dem Benthins Selbstbeherrschung hing, wurde zusehends dünner. Wieder einmal wählte er die bewährte Methode, sich in seine Arbeit zu stürzen, um den Schwelbrand seiner auflodernden Gefühle im Keim zu ersticken. Was hatte sie ihm mit ihren seltsamen Andeutungen sagen wollen? Konnte er ihr wirklich vertrauen, wenn sie behauptete, ihre Kontakte zu Kabus seien harmloser Natur? Voller Ärger registrierte er, wie ihm die Konzentration auf seine Arbeit völlig unmöglich war. Wie so oft in letzter Zeit plagten ihn Kopfschmerzen, die sich voraussichtlich im Laufe des Tages noch verschlimmern würden, wenn er nichts zu seiner Entspannung unternahm. Doch ihm fehlte die Zeit, sich um sein Wohlergehen zu kümmern - noch immer lagen einige Dinge, die er am Vorabend in einem Anfall von Verzweiflung vom Schreibtisch gefegt hatte, auf dem Boden herum, von der eigentlichen Arbeit, die erledigt werden musste, ganz zu schweigen. Er war irgendwann einfach aufgestanden und ins Bett gegangen. Am Morgen stolperte Blöhm dann erst einmal über den Kerzenleuchter, den er nicht gesehen hatte und fluchte insgeheim. Auch ihm war es nicht entgangen, dass sich im Haus seines Arbeitgebers einiges geändert hatte,
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