Seine einzige Versuchung
davor, zu explodieren. Ich hoffe, er hat Ihnen keine Szene gemacht?“ Wieder einmal antwortete Elli mit einer Gegenfrage:
„Er hat doch wahrlich keinen Grund dazu, nicht wahr?“ Wohlweislich ging er einer direkten Antwort aus dem Weg:
„Also, hat er - war es sehr schlimm?“
„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber das ist eine Sache zwischen mir und meinem Mann.“ Elli wollte ihm keine noch tieferen Einblicke in ihr Eheleben gestatten. Irgendetwas erschien ihr daran falsch. Kabus hatte schon mehr als genug von der Situation erfasst.
„Nun ja, immerhin ist er zu menschlichen Regungen fähig, wo er doch sonst immer die Besonnenheit in Person ist. Wer hätte gedacht, dass der stets gelassene Herr von Benthin einmal vor Eifersucht platzen könnte?“ Elli konnte mit seiner Äußerung nicht recht etwasanfangen und sah ihn fragend an. „Bei einer so wundervollen Frau hat ein Mann alles Recht der Welt, eifersüchtig zu sein! Ich wäre es an seiner Stelle auch!“ Elli wurde rot und wich seinem Blick aus.
„Es ist immer wieder bezaubernd, wie Sie rot werden, Elli.“ Seine Stunde war gekommen. Er holte zum finalen Schlag aus. Seine Worte waren ungewohnt ernsthaft: „Sie wissen, dass ich diese Schwäche für Sie habe, und daran kann auch Ihr eifersüchtiger Ehemann nichts ändern. Natürlich ist unsere Beziehung rein freundschaftlich, auch wenn ich insgeheim manchmal wünschte...“ Er ergriff ihre Hände.
„Nicht! Das dürfen Sie nicht sagen!“
„Ich wollte, ich könnte anders. Elli, ich…“
„Gehen Sie jetzt lieber.“
„Elli, Sie müssen mir erst versprechen, sich weiter mit mir zu treffen. Ich muss Sie wiedersehen!“ Er presste seine sinnlichen Lippen mehrmals voller Inbrunst auf ihre Hände, bis Elli sich ihm entzog, um zu gehen. „Ich werde am Freitag wieder hier sein, zur gleichen Zeit - ich erwarte Sie!“, rief er ihr noch nach.
Elli fühlte sich nicht gut, als sie zu Hause ankam. Es lag nicht nur an Kabus‘ Beichte, die er mit mehr Nachdruck als seine bisherigen Geständnisse vorgetragen hatte. Es waren die Empfindungen, die seine Worte und vor allem die Heftigkeit seiner Berührungen in ihr ausgelöst hatten, die sie aus der Fassung brachten. Er wollte sie und zwar nicht auf freundschaftliche Art - so viel stand fest. Sie kannte dieses Gefühl der Erregung noch genau. So hatte sie zuletzt empfunden, als Benthin sie berührte und küsste, nur dass dem Ganzen jetzt etwas Verbotenes anhaftete. Elli wollte sich ihre sinnlichen Regungen jedoch nicht eingestehen, weil es ihr nicht statthaft erschien, sie bei einem anderen Mann zu spüren. Rasch schob sie die Gedanken daran beiseite. Ihre Stimmung war den ganzen Tag schon nicht die beste gewesen. Da war nicht nur ihr privates Dilemma, auch die Zustände in der Suppenküche waren seit ein paar Wochen deprimierend. Eine Grippewelle Epidemie-artigen Ausmaßes hatte dafür gesorgt, dass zahlreiche notleidende Familien einen oder mehrere Tote zu verzeichnen hatten. Die Anzahl der Besucher der Suppenküche war rapide gesunken, und die wenigen, die kamen, waren vollkommen entmutigt. Elli und ihre Mitstreiterinnen verloren in diesen schweren Tagen einige ihrer Illusionen, was ihre Möglichkeiten zu helfen betraf. Die andauernde Konfrontation mit ihren Grenzen zehrte an ihren Kräften. Auch an Elli ging diese Entwicklung der Dinge nicht spurlos vorüber. Sie fühlte sich erschöpft und beschloss, sich ein wenig hinzulegen, als ihr einfiel, dass Jakob schon bald eintreffen würde. Beinahe hätte sie ihren Termin mit dem Jungen vergessen. Sie wusste nicht so recht, wie sie die Kraft aufbringen sollte, sich um seine Themen auch noch zu kümmern, aber ihr Pflichtbewusstsein verbot ihr, diese Aufgabe zu vernachlässigen. Seufzend zog sie ihre Handschuhe aus und legte sie auf die Ablage im Flur. Dort lag ein Kuvert, auf dem sie Benthins großzügige, leicht geschwungene Handschrift erkannte: Elli . Neugierig griff sie nach dem Umschlag und registrierte, dass ihre Hände leicht zitterten, als sie ihn öffnete. Benthin war außer Haus und musste ihr den Brief zuvor hingelegt haben. Würde er sich entschuldigen, alles erklären, was zwischen ihnen stand? Sie fühlte, wie ihr Herz zu rasen begann, als sie die wenigen Zeilen, die dort standen, aufgeregt überflog:
Elli, wir müssen unbedingt in Ruhe miteinander sprechen. Ich habe Frau Roth gebeten, morgen ein Abendessen für uns beide vorzubereiten. Wir werden den ganzen Abend für uns
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