Seine junge Geliebte
seinerseits nun die desinfizierende Emulsion auf Unterarme und Hände zu verteilen, »mein Freund Axel hat sich mit ihr verabredet. Der Zufall wollte es, daß er auch heute früh nach Paris fährt. Nun ja –«, Heidmann seufzte, »nun sitzen sie wahrscheinlich jetzt –«, sein Blick ging zu der großen Uhr über dem Eingang, »im selben Zug und gondeln gen Paris.«
»Das ist doch im Grunde genommen etwas Nettes.« Dr. Bruckner drückte auf einen Fußhebel. Der Deckel eines Metallkastens öffnete sich. Er nahm ein steriles Handtuch heraus und trocknete sich die Hände und Arme damit ab. »Ich für meinen Teil würde es ganz nett finden, wenn ich eine angenehme Gesellschaft auf der Fahrt habe.«
»Ich fürchte, daß die angenehme Gesellschaft –«, Heidmanns Stimme klang ironisch, »sich nicht nur auf die Eisenbahnfahrt beschränken wird.«
»Wieso nicht?« Dr. Bruckner ging zum OP. Er blieb in der Tür stehen und wartete, bis Heidmann ihm gefolgt war. »Die beiden haben doch nicht das gleiche in Paris zu tun. Ich nehme an, daß sich ihre Wege trennen werden, sobald sie den Gare du Nord verlassen haben werden.«
Er schlüpfte in den grünen Kittel, den ihm eine Schwester entgegenhielt, und schaute fragend Dr. Heidmann an, der von einer anderen Schwester bedient wurde.
»Ich fürchte doch! Mein Freund Axel hat sie überredet, etwas länger zu bleiben. Und –«, Heidmann trat an den Operationstisch heran, »er hat sie überredet, das Hotel zu wechseln und in sein Hotel zu ziehen.«
Dr. Bruckner schüttelte den Kopf und deutete auf den Patienten. »Psst!«
Dr. Heidmann nickte. »Ich nenne keine Namen«, erklärte er. »Außerdem –«, er schaute auf Peter Sartorius, der mit geschlossenen Augen dalag, »hört und sieht er nichts.«
»Die Vorbereitung ist ausgezeichnet«, mischte sich Dr. Phisto ein. Er zog einen Schemel heran, setzte sich an die Kopfseite des Patienten und hob ein Augenlid in die Höhe. Er ließ den Schein einer Taschenlampe hineinleuchten und nickte zufrieden. »Die Reflexe sind alle erhalten, aber er schläft. Herr Sartorius«, redete er den Patienten mit normaler Stimme an, aber der reagierte nicht. Er schlief weiter. Dr. Phisto nickte zufrieden. »Sie sehen, Sie können sich bei normaler Lautstärke ruhig unterhalten. Er hört nichts.«
»Es ist trotzdem besser, wir unterlassen die Unterhaltung. Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Patient scheinbar schläft, keine Reaktionen zeigt, aber dann genau erzählen kann, was gesagt worden war.« Er trat an den Patienten heran.
Eine Schwester schob ihm einen Schemel zu. Dr. Bruckner setzte sich darauf, stand aber wieder auf. »Etwas höher bitte«, sagte er zu der Schwester.
Sie drehte an der Sitzfläche, bis sie die Höhe erreicht hatte, die Dr. Bruckner benötigte, um operieren zu können.
»Wie weit soll ich abdecken?« Heidmann hatte vom Instrumententisch der Schwester ein grünes Tuch genommen.
»Sie brauchen nur die Brust abzudecken. Das Gesicht lassen Sie bitte frei. Ich muß sehen können, wo ich operiere.«
Dr. Heidmann breitete das Tuch aus und deckte es über den Leib des Patienten. Der Kopf war bereits mit einer Art Turban so bedeckt, daß keine Haare hervortraten und die Stirn zur Hälfte verschwand.
»Womit fangen Sie an?« Dr. Heidmann hatte sich auf seinen Schemel gesetzt. Er hielt eine Pinzette und einen Tupfer in der Hand und schaute Dr. Bruckner fragend an.
»Ich werde zunächst die Unterlider machen, die sind am schwierigsten. Die Oberlider sind nachher ganz einfach. Da kann praktisch nichts passieren. Richten Sie bitte den Scheinwerfer so ein, daß er genau auf das linke Unterlid fällt«, forderte er den alten Pfleger auf.
Chiron packte den Handgriff der großen Lampe an und dirigierte sie so, daß das Licht genau auf das linke Auge fiel.
»So ist es recht. Anästhesie!« Er streckte seine Hand aus. Schwester Euphrosine reichte ihm die mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllte Spritze. Dr. Bruckner erhob sich von seinem Schemel. »Spritzen kann man besser im Stehen«, erklärte er. Er schob mit dem Zeigefinger das verschrumpelte Unterlid glatt und stach die Spitze der Nadel am äußeren Lidwinkel ein. Der Patient zuckte ein wenig.
Dr. Phisto hatte sich erhoben. Er schaute interessiert zu. »Es ist so schön, wenn man einmal jemand anderen die Arbeit machen läßt, die man selber machen müßte.«
»Sie genießen das, was der Engländer ›a busman's holiday‹ – den Urlaub eines Autobusschaffners –
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