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Seine junge Geliebte

Titel: Seine junge Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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hatte er für seinen Sohn eine Menge investiert, damit dieser sein Studium beginnen konnte. Aber dann, als sein Sohn als Maler erfolgreich wurde, hatte er sich von ihm gelöst.
    Mach dir nichts draus, hatten seine Freunde gesagt. Das ist immer so. Sobald die Frucht reif ist, löst sie sich vom Baum. Aber er hatte doch sehr darunter gelitten – bis er Bärbel gefunden hatte, der er nun seine ganze Liebe schenkte. Sie war für ihn zum Mittelpunkt der Welt geworden, um den sich alles drehte. Sie hatte nicht nur die Stelle seines Sohnes eingenommen – sie war Geliebte und Kind zugleich.
    »Können Sie allein rüberklettern?« riß ihn eine Stimme aus seinen Träumereien. Er fuhr zusammen und mußte sich wieder in die Wirklichkeit zurückfinden. Als er aufblickte, sah er, daß er sich bereits im Operationssaal befand. Jedenfalls schloß er es daraus, daß über ihm eine große Lampe von der Decke hing und daß die Schwestern, die er sah, vermummt waren, wie er es aus Fernsehfilmen kannte.
    Chiron packte seinen Arm und hob ihn mehr, als daß er es aus eigener Kraft tat, auf den dicht danebenstehenden Operationstisch. »So ist es recht!« lobte ihn der alte Pfleger.
    Peter Sartorius ließ sich entspannt niedersinken. Das grelle Licht, das auf ihn herunterstrahlte, blendete ihn. Er schloß die Augen und fiel sofort in seine Träume zurück. Sie bewegten sich um Bärbel, die soviel jünger war als er. Tochter und Geliebte zugleich, fuhr es ihm wieder durch den Kopf – Sohnersatz. Zu Anfang seiner Bekanntschaft hatte er Bärbel noch überall seinen Freunden und Bekannten vorgestellt. Aber dann merkte er, daß man über ihn tuschelte, sich über ihn wegen der so viel jüngeren Freundin mokierte. Immer wieder kam es vor, daß Leute, die ihn nicht kannten, Bärbel für seine Tochter hielten. Das würde bald ein Ende haben! Wenn er seine Augen verjüngen ließ, mußte dieses dumme Gerede endlich aufhören!
    Er vernahm die Stimmen der Menschen, die im OP waren, wie aus weiter Ferne. Er versuchte zu verstehen, was sie sagten, aber es gelang ihm nicht. Der Nebel, der sich um sein Bewußtsein gelegt hatte, verhinderte auch das Verständnis. Er hörte wohl die Wörter, konnte sie aber in keine Beziehung zueinander setzen. Da gab er es auf und überließ sich völlig dem Nirwana, das ihn umgab und erfüllte.
    Bärbel ging auf dem zugigen Bahnsteig des Kölner Hauptbahnhofs auf und ab. Sie schaute auf die Uhr. Es war viertel vor sieben. Der Zug ging erst um sieben Uhr fünfzehn. Sie hatte also noch lange Zeit.
    Sie ärgerte sich, daß sie viel zu früh auf dem Bahnsteig war. Es war sonst nicht ihre Gewohnheit. Als Journalistin, die viel reisen mußte, war sie es gewöhnt, ihre Zeit einzuteilen und eigentlich immer erst im letzten Augenblick am Zug zu erscheinen. Sie hatte eine Platzkarte, so daß sie um einen Platz keine Sorgen zu haben brauchte.
    Trotz der frühen Morgenstunde war der Bahnhof voller Menschen. Vorortszüge kamen und fuhren ab. Menschen mit verbissenen Gesichtern stiegen aus, hasteten über den Bahnsteig, liefen die Treppen hinunter, rempelten einander an. Niemals war es Bärbel so bewußt geworden, wie viele Menschen zu so früher Zeit schon auf den Beinen waren und mit welcher Unzufriedenheit die meisten an ihre Arbeit zu gehen schienen. Sie sah keinen einzigen, der ein freundliches Gesicht gemacht hätte. Alle schienen mit Verbissenheit und mit Ärger an ihre Arbeit zu gehen. War es da ein Wunder, daß die Zahl der Herzinfarkte nicht nur zunahm, sondern daß sie auch immer jüngere Menschen erfaßte? Wer mit soviel Frustration an die Arbeit ging, wie es diese Menschen anscheinend taten, der brauchte sich nicht zu wundern, wenn sein Herz eines Tages nicht mehr mitmachte.
    »Achtung für Bahnsteig zehn – es fährt ein der Intercity nach Paris. Planmäßige Abfahrt sieben Uhr fünfzehn. Bitte von der Bahnsteigkante zurücktreten. Die Wagen der ersten Klasse halten an den Abschnitten D und E.«
    Bärbel nahm ihren Koffer und ging zum Ende des Bahnsteigs, wo die Wagen der ersten Klasse hielten.
    Sie schaute unruhig den Bahnsteig entlang. Noch immer konnte sie Axel Schneider nicht sehen. Sie blickte auf ihre Uhr. Im Grunde genommen brauchte sie sich gar nicht zu wundern. Es war noch viel Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Er wurde in Köln eingesetzt und fuhr deshalb früher ein.
    Sie nahm ihre Platzkarte und suchte nach dem Waggon, in dem sich ihr Platz befand. Unschlüssig blieb sie vor der Tür stehen und

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