Seine junge Geliebte
überlegte, ob sie einsteigen sollte. Sie fror. Auf dem Bahnsteig wehte ein eisiger Wind. Aber sie hatte sich ja mit Axel verabredet. Und wenn sie im Zug saß, hatte er Schwierigkeiten, sie zu finden.
Fröstelnd ging sie also von neuem auf und ab und blickte immer wieder zu der Treppe hin, die von der Bahnhofshalle nach oben führte. Ihre Blicke gingen zu der großen Uhr, die über der Anzeigetafel angebracht war. Immer schneller schien sich der Zeiger zu bewegen, immer rascher verflog die Zeit. Schließlich war es nur noch eine Minute bis zur Abfahrt des Zuges. Ein Gong ertönte. Der Lautsprecher verkündete: »Zum Intercity nach Paris bitte einsteigen. Die Türen schließen automatisch. Der Zug fährt sofort ab …«
Sie warf noch einen letzten Blick über den Bahnsteig. Dann stieg sie ein, suchte ihr Abteil und ließ sich auf den Platz fallen, den sie reserviert hatte.
Es war ein Platz am Gang. Sie hatte absichtlich darum gebeten, keinen Fensterplatz zu haben. Sie mochte Fensterplätze nicht. Einmal zog es dort, zum anderen aber konnte sie von einem Gangplatz aus leichter hinausgehen und brauchte nicht über die ausgestreckten Beine der Mitreisenden zu stolpern.
Normalerweise fuhr sie gern in einem Großraumwagen, aber der Pariser Zug hat in der ersten Klasse keinen Großraumwagen, so daß sie mit einem gewöhnlichen Abteil vorliebnehmen mußte.
Draußen ertönte der Pfiff einer Trillerpfeife. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung und gewann rasch an Geschwindigkeit. Sie atmete auf. Das Abteil war leer geblieben.
Enttäuscht lehnte sie sich in die Polster zurück und schloß die Augen. Ihre Gedanken wanderten zu Peter Sartorius hin, der jetzt wohl auf dem Operationstisch lag. Er hatte ihr gesagt, daß die Operation für sieben Uhr angesetzt worden war. Es tat ihr leid, daß sie ihn gewissermaßen verraten hatte, auch wenn es nur in Gedanken war. Er war immer pünktlich. Er hatte sie niemals sitzenlassen, war immer vor ihr dagewesen, wenn sie sich irgendwo verabredet hatten. Deswegen war sie wohl aus alter Gewohnheit heute viel zu früh auf dem Bahnsteig erschienen.
Axel hatte, wie er sagte, sein Hotel angerufen, um für das Wochenende dort ein Zimmer für sie zu bestellen. Sie beschloß, nun doch nicht in Paris zu bleiben, sondern sofort, wenn sie ihre Interviews beendet hatte, nach Köln zurückzufahren.
Die Abteiltür wurde geöffnet. Ihr Herz klopfte stürmischer, das war vielleicht Axel. Aber ihre Erwartung wurde enttäuscht. Der Schaffner betrat das Abteil. »Darf ich ihre Fahrkarte sehen?«
Bärbel öffnete ihre Handtasche, nahm den Fahrtausweis heraus und reichte ihn dem Schaffner. Er kontrollierte ihn, drückte seinen Stempel darauf und reichte ihr die Karte zurück. »Eine angenehme Reise wünsche ich Ihnen.«
»Sie machen ja so ein mißmutiges Gesicht!« Dr. Bruckner hatte sich mit Dr. Heidmann vor die Waschbecken gesetzt. Er drehte den Hahn auf, ließ warmes Wasser über Unterarme und Hände laufen. Mit einem prüfenden Blick beobachtete er Heidmann.
»Ich?« Johann Heidmann versuchte, erstaunt zu tun. »Vielleicht bin ich zu früh aufgestanden!«
»Zu früh?« Dr. Bruckner schüttelte lächelnd den Kopf. »Es ist die Zeit, zu der wir immer aufstehen. Was ist denn gestern Abend passiert? Ist nicht alles so verlaufen, wie Sie es wollten?«
Dr. Heidmann zuckte mit den Achseln, griff nach einer Bürste und begann, seine Unterarme und Hände zu bürsten. »Es war ganz nett. Sie sollten auch einmal in die neue Kneipe kommen. Der Malkasten hat wirklich eine Atmosphäre, wie sie kaum eine andere Kneipe aufzuweisen hat.«
»Aber irgend etwas ist doch schiefgegangen?« Thomas Bruckner spülte den Seifenschaum unter dem fließenden Wasser ab, seifte seine Hände erneut ein und bürstete sie wieder.
»Nun ja«, gab Heidmann zu. »Sie wissen ja, daß ich Bärbel –«, seine Blicke fielen durch die Glasscheibe in den OP, wo er intensiv die Lagerung des Patienten zur Operation verfolgte, »Fräulein Linke, sollte ich besser sagen, mit in den Malkasten genommen habe. Es war nett wie immer …«
»Und dann hat sie Ihnen jemand ausgespannt, wie?« Bruckner spülte zum letzten Mal seinen Seifenschaum ab. Er stand auf, ging zu den Wandspendern, drückte auf einen Fußhebel und ließ eine cremige weiße Masse über seine Hände lauten. Er verrieb sie.
»Ausgespannt direkt nicht«, versuchte der Assistenzarzt einzuschränken. »Aber –«, er erhob sich ebenfalls und trat neben Dr. Bruckner, um
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