Seine Lordschaft lassen bitten
schüttelte den Kopf.
»Nein, Sir, leider kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Es erscheint mir manchmal seltsam, wie verloren und verlassen man in dieser Wildnis London sein kann. So hat Dickens die Stadt genannt, und beim Himmel, Sir, er hatte recht. Wen n ich morgen stürbe, und meine Gesundheit ist auch nicht mehr das, was sie war, würde kein Hahn danach krähen . Früher hatte ich meinen eigenen kleinen Laden und war sehr angesehen. Aber wenn ich heute dahinginge, würde mich niemand vermissen.«
»Vielleicht der Mieteinnehmer«, meinte Hector.
»Gewiß . Aber wenn er ein paarmal vergeblich käme , würde er ruhig ein paar Wochen abwarten. Dann würde er vielleicht Erkundigungen einziehen. Und natürlich auch der Mann, der die Gasmünzuhr leert. Aber das dauert manchmal lange.«
»Das stimmt«, meinte Hector betroffen. Er hatte sich noch nie klargemacht, wie wen ig das Einzelleben in London be deutete.
»Dann wissen Sie also wi rklich nichts über diese Wilbra hams?«
»Wenig, Sir. Besonders, seitdem ich mir gestattet habe, ein ernstes W ö rtchen mit dem jungen Mann zu reden wegen der Art und Weise, wie er seine Frau behandelte.«
»War es so schlimm?«
»Ein junger Mann sollte nicht so barsch zu seiner Frau sein«, sagte der Alte, »denn sie hat's schwer, und Männer sind gedankenlos. Ja, davon kann ich ein Lied singen. Und sie mochte ihn gern, das konnte man ihrem Gesicht ansehen. Aber sie steckten in Schwierigkeiten, denke ich, und wenn ein Mann nicht mehr weiß, wie er das nötige Geld beschaffen soll , spricht er oft gereizt, ohne es zu wollen.«
»Wann war das?«
»Ungefahr vor einem Monat. Nicht hier. Im St.-Pankraz-Kirchhof. Im Sommer ein angenehmer Platz. ›Du bedauerst wohl sehr, daß du mich geheiratet has t, wie?‹ sagte er mit einem häß lichen Lachen. Er brachte sie ganz aus der Fassung, das arme Ding. Sie merkten nicht, daß ich neben ihnen sa ß , bis ich mit ihm sprach.«
»Und was sagte er darauf ?«
»Ich sollte mich um me ine eigenen Angelegenheiten küm mern. Und er hatte ja auch recht. Es ist verkehrt, wenn man sich in Ehegeschichten einmischt, aber die junge Frau tat mir leid. «
Hector nickte. »Haben Sie am letzten Sonnabend nichts von ihnen zu sehen bekommen?«
»Nein, Sir, aber ich war den ganzen Tag nicht zu Hause. «
Der Gemüsehändler zu ebener Erde konnte Hector auch nichts verraten. Wohl hatte er Mrs. Wilbraham gelegentlich etwas Gemüse verkauft, aber er wohnte nicht im Hause. Nach einigen weiteren Erkundigungen, die zu keinem Resultat führten, gab Wilbrahams das Rennen auf. Die Sache erschien ihm zu unbedeutend. Da er jedoch immerhin Zeit und Geld darauf verschwendet hatte, mußte er etwas aufzuweisen haben. Daher verfa ß te er eine kurze Notiz:
Fünf r ä tselhafte Milchflaschen
Was ist aus Mr. und Mrs. Hugh Wilbraham, 14 B Buttercup Road, Clerkenwell, geworden? Die Tatsache, daß die Milch fünf Tage lang nicht hereingeh olt worden ist, erregte die Auf merksamkeit des Milchmanns J. Higgins, der unseren am Dienstag veröffentlichten Artikel ›Milchflaschenr ätsel‹ gele sen hatte. Man hat beobachtet, daß Mr. Wilbraham, angeblich ein Schriftsteller, das Haus am vergangenen Sonnabend mit einem Koffer verlassen hat. Weder er noch seine Frau, mit der er auf gespanntem Fuß leben soll , sind seitdem gesehen worden.
Der Nachrichtenredakteur, dem gerade ein halbes Dutzend Zeilen fehlte, um das Ende einer Spalte auszufüllen, reichte die Notiz dem Hilfsredakteur, der sie mit den ü blichen Veränderungen in die Druckerei schickte.
Am Freitagabend brachte die Zeitung Evening Wire, die offenbar auf eigene Faust Erkundigungen eingezogen hatte, eine ausführliche Version der Geschichte.
Geheimnisvolle Milchflaschen
Sechs ungeö ffnete Milchflaschen vor der Tür eines Zimmers in einem Miethaus in Clerkenwell stellen ein Geheimnis mit mehreren beunruhigenden Aspekten dar. Der Raum wurde vor drei Monaten von einem angeblichen Romanschreiber und seiner Frau gemietet, die sich Mr. und Mrs. Hugh Wilbraham nannten. Es liegt im obersten Stockwerk des Hauses 14 B Buttercup Road und ist s eit sechs Tagen verschlossen ge blieben. Von den Mietern f ehlt seit Sonnabend, als Wilbra ham das Haus in verdächtiger Weise mit einem Koffer ver ließ , jede Spur.
Ein Taxifahrer namens Hodges sagt aus, daß er am Sonnabend gegen sechs Uhr einen verdächtig aussehenden Mann mit einem Koffer gefahren habe, auf den die Beschreibung Wilbrahams pa ß t. Der Mann habe wild um sich
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