Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
helfen den Schwestern noch, das mittlerweile fast apathische Mädchen von der Trage auf ein Bett zu legen, wo ihre Arme und Beine mit Gurten fixiert werden. Nach einem Becherchen Haldol, das sie nach viel gutem Zureden der Schwester brav schluckt, driftet sie ins Land der Träume ab. Leise wünsche ich ihr alles Gute, sie nuschelt noch mal kurz »Fotze!«, anscheinend ihre Lieblingsbeschimpfung, dann verlassen wir das Alex und brechen auf zu neuen, hoffentlich weniger tragischen Einsätzen.
Die Afghanen und das Rhinozeros
2011
Ganz eng drücke ich mich an die Hauswand und werfe meiner Kollegin Ruth einen ratlosen Blick zu. Aber auch sie zuckt nur mit den Achseln und blickt dann wieder auf die Fensteröffnung über uns, aus der nun schon seit ein paar Minuten ununterbrochen Gegenstände fliegen. Kleidungsstücke, eine Luftmatratze, ein Küchenstuhl, mehrere gefüllte Müllbeutel, Kinderspielzeug – das alles liegt jetzt auf der Wiese vor dem Haus. Durch das Fenster sind unartikulierte Schreie eines Mannes zu hören, und eigentlich dürfen wir nicht länger warten. Verstärkung ist zwar angefordert, aber im direkten Umfeld hat niemand Zeit. Also wird es ein wenig dauern, bis hier jemand eintrifft, der uns helfen könnte.
Als wieder ein Hilferuf aus dem Fenster dringt, treffe ich eine vermutlich ziemlich leichtsinnige Entscheidung. Ich nicke Ruth kurz zu, packe die Dose mit dem Pfefferspray, und wir stürmen durch die Hauseingangstür, die Treppe hoch in die erste Etage und sofort durch die offene Wohnungstür, hinter der die Schreie immer lauter werden.
» POLIZEI !«, schreie ich den Hünen an, der dort in Feinrippunterhemd und rosa Rüschenunterhose am Küchenfenster steht und gerade dabei ist, mehrere Kochtöpfe hinauszuwerfen. Meine Kollegin tritt gegen die beiden Türen, die von dem Wohnungsflur abgehen und nur angelehnt sind, und wirft vorsichtige Blicke in die Räume. »Alles leer, außer ihm niemand hier!«, raunt sie mir von hinten zu. Auch sie hat bereits erfasst, dass wir, obwohl wir zu zweit sind, gegen den Riesen nicht die geringste Chance haben, wenn er sich nicht beruhigen sollte. Die Kollegen sind immer noch weit weg, entnehme ich den leisen Stimmen am Funk.
Wieder treffe ich eine leichtsinnige, aber in diesem Fall glücklicherweise richtige Entscheidung und stecke mein Pfefferspray weg.
»Hallo, Herr Albayrak?!« Den Namen habe ich von einer kleinen goldenen Plakette an der Wohnungstür abgelesen.
Er dreht sich vom offenen Fenster zu mir um, und ich sehe Angst und Panik in seinem Blick. » DIE GREIFEN UNS AN ! HELFEN SIE ! SCHNELL , HELFEN SIE !«, ruft er mir zu und wirft den nächsten Kochtopf aus dem Fenster.
Vorsichtig trete ich auf ihn zu, zeige ihm meine offenen Handflächen. »Herr Albayrak, wer greift Sie an?«
»Die Afghanen, da, da, da und da … überall!« Wild zeigt er aus dem Fenster, sein dicker behaarter Bauch schaukelt über der rosa Unterhose auf und ab, während er mich anfleht, ihn vor den Afghanen zu retten. Ratlos tauschen Ruth und ich Blicke. Was jetzt?
»Da sind keine Afghanen, Herr Albayrak!« Ich wende das an, was wir auf der Schule gelernt haben: so oft wie möglich den Namen wiederholen, um den Menschen wieder in die Realität zurückzuholen.
Er senkt den Arm, in seiner riesigen Pranke hält er eine Bratpfanne. » KEINE AFGHANEN ? BIST DU BLIND !? Da, da, da, da und da … überall Afghanen! MIT MESSERN UND BOMBEN !«
Ich trete noch näher, die Bratpfanne immer im Blick und die Hand an der Waffe. Hoffentlich sieht er nicht, dass ich mir selbst gerade vor Angst fast in die Hose mache, allerdings nicht wegen der Afghanen, sondern wegen der Bratpfanne.
Noch ein Schritt, und ich stehe vor ihm. Ruth ist direkt hinter mir, ich fühle, wie angespannt auch sie ist. Herr Albayrak dreht sich wieder zum Fenster und will gerade die Pfanne rauswerfen, als die Kollegin schreit: » DA , TATSÄCHLICH – DIE AFGHANEN ! Schnell, wir müssen in Deckung gehen!«
Sie packt Herrn Albayrak am Arm und zieht ihn hinter sich her aus der Küche ins Schlafzimmer. Ich hinterher.
»Schnell, schnell, Sachen anziehen! Wir müssen fliehen, die Afghanen sind gleich da«, raunt sie ihm in verschwörerischem Ton zu, und ich ärgere mich, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin. Herr Albayrak sieht dankbar erst Ruth, dann mich, dann wieder Ruth an. Schließlich zieht er sich tatsächlich eine Hose über die rosa Rüschenbuxe und eine Jacke über das Unterhemd.
»Herr Albayrak, wir
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