Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
gehe. Ich werde in mein Zimmer gehen. Ich werde mich still hinsetzen, bis mein Herz zu hämmern aufhört. Ich werde etwas trinken.
Ich komme an meine Zimmertür. Ich bleibe stehen. Sehe zurück, den Korridor entlang.
Ich will jetzt nicht alleine sein. Ich will mich nicht beruhigen.
Ich will auch nichts trinken.
Langsam gehe ich über den Gang zurück. Klopfe an die Tür.
Ich höre ihn herankommen. Er öffnet die Tür.
Ich lächle. Er runzelt die Stirn. Ich gehe bis ans Fenster, lege meine Hände aufs Fensterbrett und sehe in den Garten hinunter. Jetzt regnet es stark. An der Seite des Hauses brennt eine Lampe und wirft einen fahlen Schein auf den nassen Teer des Fußwegs.
Ich drehe mich um.
Er sieht mich an, sehnsüchtig und zärtlich.
Ich drehe mich um, sehe ins Dunkel hinaus, sehe die Lichter. Mein Herz pocht laut.
Seine Hand streicht über meinen Arm. Ich erschauere. Er fasst mir ins Haar und hebt es an, weg von meinem Hals. Dann beugt er sich vor – ich sehe seine Spiegelung im Fenster – und küsst mich seitlich auf den Hals. Ich spüre seine Zunge, seinen Mund, seine Zähne, leichte Berührungen nur, die sich in mir ausbreiten und meinen Atem beben lassen.
Er dreht mich herum. Küsst meinen Mund. Er streichelt meinen Rücken. Es ist drängend und zart zugleich, und er zieht mich zum Bett und wir liegen da und er küsst wieder meinen Hals, und nun zittere ich am ganzen Körper. Und er zieht seine Kleider aus und ich streife meine Kleider ab und wir berühren uns und küssen uns und unsere Gerüche und unsere Geräusche und das, was wir tun, füllt meine Gedanken, und da ist keine Schuld und da ist keine Verwirrung und es ist nur dieser Moment und ich bin, wo ich noch nie gewesen bin, und ich kann nicht außerhalb davon denken und ich weiß nur, das ist richtig das ist richtig das ist richtig.
Nach dem, was mit Langes Elend und Zahnlücke passiert ist, habe ich viel von bösen Menschen geträumt. Das waren dann dicke und große Erwachsene mit Kapuzen über dem Kopf, sodass ich nur ihr Lächeln sehen konnte und ganz kurz auch böse Augen. Sie sind von hinten gekommen und haben mich gepackt. Ich wollte schreien, aber meine Stimme hat nicht funktioniert, und die bösen Menschen wollten mich mitnehmen zu einem weit entfernten Gefängnis wie in Das Besondere Kind.
In einer Nacht, das weiß ich noch, da habe ich gedacht, ein böser Mensch wäre in meinem Schlafzimmer. An der Tür war ein großer Schatten vom Morgenmantel, und ich habe gedacht, das wäre eine böse Frau, und ich bin immer wieder aufgestanden und habe nachgesehen, ob sie dort ist. Dann ist Mama nach Hause gekommen und hat gesehen, dass ich nicht im Bett bin, und war ärgerlich. Sie hat gesagt, ich muss härter werden und keine Angst mehr haben und zum Kämpfen bereit sein, wenn es nötig ist. Sie hat gesagt, wenn ich mir immer vorstelle, dass eine böse Frau kommt, dann kommt wirklich eine böse Frau. Mama hat gesagt, es ist das Wichtigste, dass man stark ist und dass jeder auf sich selbst und seine Familie aufpassen muss und dass einer des andern Wolf ist und dass man sie deshalb töten muss, bevor sie einen auffressen.
Sie hat gesagt, dass sie keine richtigen Wölfe meint.
Kapitel 17
»Senf oder Mayonnaise dazu?«, fragt die Frau.
»Mayo, bitte.« Lorcan lächelt ihr zu.
Ich merke, dass ich hinstarre, und schaue weg. Es ist fast Mittag, und wir sind die Einzigen, die im Restaurant des Hotels essen. Die Frau entfernt sich und Lorcan lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.
Ich spüre seinen Blick auf mir, erwidere ihn aber nicht sofort. Die Intensität seiner Gegenwart ist wunderbar, aber auch beängstigend … überwältigend …
»Gen?«
Endlich sehe ich ihn an – völlig verlegen. Was ist nur los mit mir? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so außer Kontrolle gefühlt habe. Bilder von unserer Liebesnacht schießen mir durch den Kopf, pure Lust und Freude. Dies ist völlig anders als damals, als ich mit Art zusammenkam. Ich bewunderte Art, bevor ich ihn lieben lernte. Sicher, ich fühlte mich zu ihm hingezogen, aber es waren seine Energie und seine Zielgerichtetheit, die ich so anziehend fand.
Bei Art wuchsen meine Gefühle langsam und stetig. Bei Lorcan ist es so, als sei eine Bombe in mir geplatzt. Es ist lächerlich – so als wäre ich wieder sechzehn. Und doch bin ich mir im kalten Licht des Morgens nur allzu bewusst, dass Lorcan seine eigenen Interessen verfolgte, als er mir seine Hilfe anbot. Und ich
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