Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
nahe.
»Gehen wir zum Gasthof zurück und reden noch einmal mit den Angestellten«, meint Lorcan.
»Wozu?« Ich seufze. »Ich glaube nicht, dass der Wirt uns angelogen hat. Art kommt regelmäßig her und bleibt in seinem Zimmer. Das ist alles. Wir wissen ja nicht einmal, wonach wir eigentlich suchen.«
Lorcan blickt von seinem Sandwich auf.
»Und was willst du damit sagen?«, fragt er. »Willst du etwa aufgeben?«
Ich verschränke die Arme und sehe zum Fenster hinaus. Der Himmel hat sich eingetrübt. Eben noch war es strahlend sonnig, aber nun ist alles grau und fast bedrückend. Ein paar Regentropfen malen dunkle Punkte auf den Gehweg. Ich bin so gereizt, dass es fast juckt.
»Natürlich nicht, verdammt noch mal. Was ist denn los? Bist du nur interessiert, wenn sich ein richtiges Drama abspielt?«
»Hey, ich tue mein Möglichstes, dir zu helfen …« Er schiebt seinen Teller von sich und lehnt sich zurück.
Wir schweigen beide angespannt.
»Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten«, fauche ich. Ich weiß, ich bin ungerecht, aber ich kann nichts dagegen tun. »Du hast dich angeboten. Und außerdem hast du gesagt, du hättest nichts Besseres zu tun.«
Lorcan blickt auf, halb lächelnd. »Klingt nicht besonders ritterlich, wenn man’s so sagt.«
Ich zucke mit den Achseln, entwaffnet von seinem Lächeln. »Um Ritterlichkeit geht’s mir ja gar nicht.«
Es regnet jetzt stärker, Tropfen rinnen an der Fensterscheibe hinunter. Aus irgendeinem Grund beruhigt mich das. Ich lege Lorcan meine Hand auf den Arm. »Tut mir leid, dass ich ausgeflippt bin. Ohne dich könnte ich das alles gar nicht. Es ist nur …« Meine Stimme wankt unter dem Ansturm der Gefühle. »Diese ganze Sache … Mir ist, als würde ich den Verstand verlieren.«
Lorcan nickt, sagt aber nichts. Wieder schweigen wir. Ich denke an Hens Verdacht, Lorcan könnte den Film der Überwachungskamera manipuliert haben, und an Morgans Auslassungen.
Wie ein Wolf, der sich ein Opferlamm ausgesucht hat.
»Warum hilfst du mir überhaupt?« Ich sage das möglichst ruhig und gelassen.
Lorcan blickt auf. Für einen langen Augenblick sehen wir uns an.
»Es tut mir leid«, sagt er schließlich.
»Was tut dir leid?« Ich halte den Atem an.
Der Regen prasselt gegen das Fenster. Die Straße ist nur noch verschwommen zu sehen. Ich warte ab, beobachte ihn …
»Ich muss dir etwas sagen«, meint er langsam. »Zwei Dinge, genau genommen. Da ist zum einen dieses Mädchen in Irland. Ich habe sie angerufen, gestern Abend, als du schon geschlafen hast, und ihr gesagt, dass es aus ist zwischen uns.«
»Oh.« Ich merke, wie ich rot werde.
Er fasst meine Hand. Er spricht leise und eindringlich. »Okay, hör mir zu. Ich habe mit Hayley Schluss gemacht, weil mir, seit ich dich kenne, klar geworden ist, dass sie nicht die Richtige ist. Eigentlich hätte mir das schon vorher klar sein müssen …«
Mir hämmert das Herz in der Brust. Was sagt er da? Dass er sie verlässt, hat etwas mit mir zu tun?
»Himmel, bin ich scheiße bei so was.« Er lässt meine Hand los. Er rutscht unbehaglich auf seinem Sitz herum. »Ich wollte, dass du das weißt, bevor ich dir das andere sage.«
»Welches andere?«, frage ich mit klopfendem Herzen.
»Du weiß doch, was man sich über mich erzählt?«, sagt Lorcan. »Was damals bei Loxley Benson passiert ist …«
»Du meinst, das mit der Frau dieses Kunden?«
Er nickt. Sein Gesicht verrät seine Anspannung.
»Schau, das ist lange her. Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr.«
»Doch, es ist wichtig«, meint Lorcan. »Ich möchte, dass du die Wahrheit weißt.«
»Die Wahrheit worüber?«
»Über jenen Abend«, sagt er. »Über diesen Abend vor vierzehn Jahren.«
Ich warte ab und lasse ihn nicht aus den Augen.
»So mit Anfang zwanzig habe ich mit vielen Frauen geschlafen, aber … das machen doch die meisten Männer, wenn sie die Chance dazu haben, oder etwa nicht?«, sagt er gequält. »Ich will das auch gar nicht alles rechtfertigen. Da waren ältere Frauen dabei, verheiratete Frauen, die … na jedenfalls spielt das jetzt keine Rolle mehr.« Er bläst die Luft aus, ein tiefer Seufzer. »Als ich dich kennengelernt habe, bei der Party, da war ich ziemlich sauer, weil dort jeder, der mich gesehen hat, sofort und ausschließlich an die Sache bei Loxley Benson gedacht hat.«
»Was meinst du damit?«, frage ich. »Niemand hat darüber gesprochen, außer Kyle und Art, und das nur, weil ich nicht locker gelassen habe.«
»Nein.« Lorcan
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