Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Welt … Sie tut mir so leid, diese arme Frau, denn sie haben ihr das Baby weggenommen und ihr gesagt, das kleine Ding sei tot.«
»Warum sollte man in Bezug auf das Geschlecht eines Babys lügen, von dem man allen erzählt, dass es tot ist?« Ich reibe mir den Kopf. Er tut immer noch weh.
»Um Spuren zu verwischen«, sagt Lorcan. »Es ist ein zusätzlicher Schutz – eine zusätzliche Barriere, die die Leute daran hindert, das Baby zu finden. Und das Kind, mit dem Art gesehen wurde, ist im selben Alter, in dem Beth jetzt wäre …«
Ich blicke ihn fassungslos an. In meinem Kopf vermischen sich Verwirrung und Hoffnung. Ich kann den Gedanken kaum ertragen, dass die Tochter, die ich verloren habe, die Beth, von der ich geträumt habe, eine Fiktion ist. Das ist einfach zu viel. In den letzten acht Jahren habe ich sie mir vorgestellt: mein kleines Mädchen. Ich habe sie mir ausgemalt, habe sie betrauert, ja, sie sogar geträumt. Sie war für mich so real. Und jetzt sagt man mir, dass es dieses Mädchen nie gegeben hat, dass alles eine Illusion war.
»Wir müssen zur Woodholme School fahren«, sage ich. »Ich muss diesen Jungen sehen … muss ihn mit eigenen Augen sehen.«
Eine halbe Stunde später halten wir vor einer hohen Backsteinmauer, die zu beiden Seiten von Eichen gesäumt wird. Auf einem Messingschild ist zu lesen: Private Jungenschule Woodholme.
Von unserem Platz aus haben wir eine großartige Seitenansicht von einer geschwungenen Auffahrt, die zu einem massiven Sandsteingebäude führt. In der Ferne hört man Kindergeschrei. Es gibt zwei durch einen Drahtzaun getrennte Schulhöfe. Auf einem davon stehen ein Klettergerüst, eine Reihe von Tierstatuen aus lackiertem Metall und in der Ecke eine Rosskastanie. Der andere Schulhof ist größer und eindeutig für ältere Kinder – nur ein Asphaltplatz, auf den die Zweige der Rosskastanie hinüberhängen.
»Wir können hier nicht sehr lange warten, falls du das vorhast.« Lorcan sieht mich mit einem Stirnrunzeln an. »Es ist zu riskant. Irgendein neugieriger Weltverbesserer wird die Polizei rufen und sagen, dass wir hier herumlungern.«
»Ich glaube nicht, dass wir noch lange warten müssen.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Bobs aus dem Laden kennt Art auf jeden Fall, stimmt’s?«, sage ich.
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
»Also wird er ihn warnen, und Art wird jemanden schicken, der … das Kind abholt.« Ich möchte mein Kind sagen, aber ich kann immer noch nicht begreifen, dass das Baby, von dem ich seit beinahe acht Jahren träume, vielleicht ein Junge sein könnte. Es fühlt sich so unwirklich an. Ich zwinge mich, logisch zu denken. »Wenn Art weiß, dass wir ihm auf der Spur sind, wird er handeln. Er wird wissen, dass er nicht vor uns bei der Schule sein kann, aber er wird das Kind hier rausholen wollen. Falls das Kind hier zur Schule geht.«
Lorcan nickt langsam. »Du meinst, er könnte die Frau, mit der er zusammen ist, hierherschicken?«
Wut steigt in mir hoch. »Wenn sie gemeinsam in der Sache drinstecken, wird sie sicher so schnell wie möglich kommen wollen.«
Wir sitzen schweigend da, eine Ewigkeit, wie mir scheint. Mehrere Frauen gehen auf dem Bürgersteig an uns vorbei. Andere fahren in Autos vor. Dann läutet die Schulglocke – laut und deutlich. Kurze Zeit später strömen viele Kinder auf den Schulhof. Als ihre Stimmen die Luft erfüllen, steigen auch die Frauen, die noch in ihrem Wagen geblieben sind, aus und gehen durch das Schultor. Andere tauchen im Eingang auf, in Paaren und Gruppen, viele mit adrett gekleideten Kleinkindern an der Hand.
»Die Invasion der jungen, attraktiven, reichen Mütter«, stellt Lorcan nüchtern fest.
»Es scheint Schulschluss zu sein«, sage ich mit trockener Kehle.
Es könnte nicht schlimmer sein. Ich habe erwartet, ein einziges Kind zu sehen, das früher aus der Schule abgeholt wird. Jetzt muss ich eins aus einer Vielzahl von Kindern auswählen.
Weitere Frauen schlendern plaudernd an uns vorbei. Die meisten sind in meinem Alter oder ein bisschen jünger, viele schieben Kinderwagen.
Wir steigen aus dem Wagen. Mütter und Kindermädchen samt ihren Schützlingen kommen an uns vorbei. Verzweifelt schaue ich mich um. Falls mein Kind hier ist, wie werde ich es wissen? Ich halte Ausschau nach einer Frau, die in Eile ist … einer, die Angst hat und verstohlen um sich blickt … doch alle um uns herum scheinen glücklich und entspannt zu sein.
Es ist aussichtslos. Eine neue Angst packt mich. Wenn
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