Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
abtun, noch bevor ich ihr erklärt habe, worum es eigentlich geht. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Überzeugung, dass ich Dads neurotische und zwanghafte Neigungen geerbt habe, »aber immerhin suchst du die Antworten auf die Fragen des Lebens nicht am Grund einer Flasche.« Außerdem vergöttert sie Art.
Aber das spielt ohnehin keine Rolle. Ich weiß selbst, dass es verrückt von mir ist, so an der Vergangenheit zu zweifeln.
»Mum ist in Australien.« Mir versagt die Stimme.
»Und? Gibt es dort keine Telefone?« Plötzlich klingt er barsch und atmet laut hörbar. Er marschiert wieder zum Bett zurück, die Kiefer aufeinandergebissen. »Himmel nochmal, ich hoffe nur, dass John Vaizey, oder wer sonst diese Frau mit ihren Lügen hergeschickt hat, in der Hölle schmoren wird dafür, dass er dir diese falsche Hoffnung eingepflanzt hat.« Er schlägt mit der flachen Hand auf die Wand über dem Bett.
Ich schrecke hoch, und mir stockt der Atem. Art verliert niemals die Beherrschung. Er hat sich immer perfekt unter Kontrolle. Ich starre ihn an, am ganzen Körper angespannt. So wütend habe ich ihn noch nie gesehen. Und dann sehe ich – halb erschreckt, halb verblüfft – mit an, wie er neben mir aufs Bett sinkt.
»Es tut mir leid, Gen.« Er birgt den Kopf in den Händen, und als er wieder aufsieht, hat er Tränen in den Augen. »Es tut mir wirklich leid, Gen, aber du musst das jetzt ruhen lassen weil … weil … das Schwierigste in meinem ganzen Leben war, in dein Zimmer zu gehen und mit dir zu reden, nachdem unser Kind gestorben war. Und ich lasse nicht zu – verstehst du? –, ich lasse nicht zu, dass dieser Moment unsere Zukunft genauso zerstört, wie er unsere Vergangenheit zerstört hat.«
Er bricht ab, und seine Brust hebt sich jäh. Für einen Augenblick hab ich ein schlechtes Gewissen. Ich darf nicht vergessen, dass auch Art Beth verloren hat.
»Ich weiß«, antworte ich. »Wir könnten beide vielleicht eine Tasse Tee vertragen, oder?«
Eine Pause.
Dann nickt Art. »Aber keinen Tee, sondern Champagner«, sagt er. Ich merke, wie er wieder fröhlich klingen will. »Wir haben doch was zu feiern.«
Champagner ist so ungefähr das Letzte, was ich jetzt brauche, aber Art ist nun in überschäumender Stimmung, und aus Erfahrung weiß ich, dass es besser ist, ihn nicht zu bremsen. »Okay, du holst die Flasche und Gläser«, antworte ich und erwidere sein Lächeln. »Ich ziehe mir inzwischen etwas an.«
Art hebt eine Braue und lässt einen begehrlichen Gesichtsausdruck aufblitzen. »Nicht nötig«, sagt er und streicht mir mit dem Finger über die Schulter.
»Vielleicht später …« Ich lächle und mache mich von ihm los. »Auf geht’s, los. Ich komme gleich nach.«
Art geht. Ich ziehe rasch Jeans und ein Sweatshirt über und folge ihm hinunter in die Küche. Ich bin noch etwas durcheinander, weil ich den ganzen Nachmittag verschlafen habe. Auf dem Tisch stehen bereits zwei Champagnerflöten, und als ich hereinkomme, lässt er den Korken knallen und gießt uns beiden ein. Er reicht mir eine und hebt die andere.
»Auf die Zukunft«, verkündet er. » Unsere Zukunft.«
Ich lächle wieder und nippe kurz am eiskalten Geblubber. Dann setze ich mich. Art tritt hinter meinen Stuhl, stellt sein Glas ab und fängt an, mir die Schultern zu massieren. »Hör mal, Gen«, meint er. »Ich weiß, dass das schwer ist, aber du musst dir den ganzen Müll, den diese Frau erzählt hat, aus dem Kopf schlagen. Lass heute den Tag sein, an dem wir ganz von Neuem beginnen.«
Das schwindende Licht des Tages, das durchs Küchenfenster hereinfällt, bricht sich in den beiden Champagnergläsern auf dem Tisch. Art nimmt sein Glas wieder.
»Meinst du, wir sollten sie bei der Polizei anzeigen?«
»Wozu?« Art wischt meinen Vorschlag mit einer Handbewegung beiseite. »Wir haben keine Beweise. Wir wissen nicht einmal ihren richtigen Namen oder ihre Adresse.«
Ich denke an den zerknüllten Zettel mit Lucys Handynummer in meiner Manteltasche. »Das stimmt.«
Art streicht mir übers Haar. »Ich glaube, am besten vergessen wir einfach, dass sie existiert hat. Wir probieren’s mit ICSI , und dann wirst du schwanger, und dann bekommen wir ein Baby.« Er hält mir sein Glas hin und grinst. »Auf die Hoffnung.«
Ich zögere. Ich weiß, Arts vorwärtsgerichtete Denkweise ist vernünftig, aber ich will an das Unmögliche glauben. Ich will glauben, dass Beth irgendwo da draußen ist und darauf wartet, dass ich sie finde. Ich stoße mit ihm
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