Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
an.
»Auf die Hoffnung.«
Kapitel 4
Ich schrecke aus einem Albtraum hoch. Mir schnürt es vor Angst die Brust zusammen. Etwas ist fort … etwas fehlt … Beth … immer wieder Beth …
Langsam legt sich meine Erregung. Ich taste auf dem Nachttisch nach dem Wecker: 4.15 Uhr. Mist. Art schnarcht leise. Er wacht nie zu früh auf. Schlafprobleme kennt er überhaupt nicht. Und was am schlimmsten ist: Er ist immer schon nach wenigen Minuten eingeschlafen.
Ich stehe auf und tappe in die Küche hinunter. Wenn ich um diese Zeit wach bin, kann ich genauso gut gleich aufstehen, das weiß ich aus Erfahrung. Ich schalte den Wasserkocher ein und stelle einen Becher bereit, dazu einen Teebeutel und Milch.
Ich habe in den letzten Jahren oft von Beth geträumt. An Einzelheiten kann ich mich nie erinnern, aber ich weiß, dass sie jedes Mal älter ist, so als wäre sie am Leben geblieben.
Vielleicht ist sie ja gerade so alt … Der Gedanke trifft mich mit solcher Wucht, dass ich tatsächlich den Becher fallen lasse. Er poltert auf die Arbeitsplatte, dass es laut durch die Nachtluft hallt. Träume ich vielleicht von einer Person, die tatsächlich existiert?
Ist so etwas überhaupt möglich?
Ich setze mich an den Tisch und lausche, wie das Fauchen und Zischen des Wasserkochers allmählich den Raum erfüllt. Ich habe so gut wie keine Einzelheiten aus diesen Träumen behalten, nur eine vage, immer mehr verblassende Vorstellung von ihrem Gesicht: einst ein rosiges Baby, dann ein pausbäckiges, lächelndes Kleinkind und jetzt, mit fast acht Jahren, ein kleines Mädchen mit weichen, braunen Locken und olivfarbener Haut, so wie ich als Kind, nur mit Arts riesigen braunen Augen.
In meinen Träumen ist sie lebendig und vollkommen.
Ich trinke den Tee, gehe wieder zu Bett und weigere mich, an Beth oder Lucy O’Donnell zu denken. Nach einer Weile schlafe ich wieder ein. Als ich aufwache, ist es schon fast halb zehn. Unten höre ich Lilia, wie sie beim Staubsaugen mit ihrem iPod mitsingt. Ich drehe mich auf die andere Seite. Art ist nicht zu sehen. Was nicht weiter überraschend ist. Er ist immer vor sieben aus dem Haus. Auf seinem Kissen liegt aber eine Nachricht. Ich strecke mich schlaftrunken hinüber und lese.
Stell dir vor, dies wären Blumen. In Liebe, Ax.
Den Unterricht bringe ich leicht benommen hinter mich. Pro Woche sind das vier Doppelstunden hier am Art & Media Institute – Kurse über kreatives Schreiben in allen Facetten, für Erwachsene. Viel verdiene ich nicht damit, und wie Art treffend festgestellt hat, ist es bloß eine Teilzeitbeschäftigung, keine »richtige Arbeit«. Ich warte auf den Fahrstuhl, als mich eine Frau anspricht. Charlotte West, Designerjeans, gepflegter blonder Pferdeschwanz und ausgeprägtes Anspruchsdenken.
»Geniver?«, leiert sie, ihr Akzent reinstes Londoner Hinterland. »Ich würde mich gerne kurz mit Ihnen unterhalten.«
Ich werfe einen Blick auf die Fahrstuhlanzeiger. Alle drei Kabinen stecken offenbar im Erdgeschoss fest; also zwinge ich mich zu einem einladenden Lächeln. »Gerne.«
Charlotte kommt näher, und ich muss mich zwingen, nicht einen Schritt zurückzutreten. Sie ist Anfang vierzig, schätze ich – etwas älter als ich, wie die meisten Teilnehmer meiner Schreibkurse. Sie sieht gut aus für ihr Alter – schlank und gepflegt. Heute hat sie ihre Calvin-Klein-Jeans mit einem smaragdgrünen Top mit U-Boot-Ausschnitt kombiniert, das ihre Augenfarbe betont.
»Womit kann ich helfen?«, fahre ich fort.
»Ich habe Regenherz noch mal gelesen«, erklärt sie mit leuchtenden Augen. »Es ist einfach genial. So ein anregendes Buch.«
»Danke.« Die Situation ist mir peinlich, und das nicht nur wegen der Lobhudelei. Von meinen drei Büchern halte ich Regenherz eigentlich für das schwächste. In der Handlung – über eine Frau, deren Mann eine Affäre mit der Frau seines Geschäftspartners hat – klaffen beträchtliche Lücken, und inzwischen finde ich die Figuren hölzern und wenig glaubwürdig. Kurioserweise hat es sich von den dreien am besten verkauft und ist als einziges noch lieferbar.
Ich rücke etwas von Charlotte ab. Sie bleibt mir auf den Fersen und nagelt mich zwischen der Wand und dem ersten Fahrstuhl in der Ecke fest.
»Ich frage mich nur, wie Sie auf diese Idee gekommen sind?«, fragt sie.
Ich stoße innerlich einen Seufzer aus. Das ist die Frage, die Autoren am häufigsten gestellt wird, und sie ist mit am schwersten zu beantworten.
»Ich dachte, vielleicht hat sich
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