Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Haar.
»Ich weiß«, stöhnt Art im Scherz. Er sieht Sandrines Mann an, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, aus dessen Brusttasche aber ein perfekt zum Dreieck gelegtes rotes Taschentuch ragt. »Was meinst du, John? Wie’s aussieht, wird es mindestens zehn verdammte Jahre brauchen.«
»Nun, so läuft das eben in der Politik«, erwidert John süffisant und streicht sich ein unsichtbares Staubkorn vom Revers.
»Wie siehst du das, Geniver?«, fragt Sandrine.
»Ich denke, die Politiker müssen da sehr vieles im Auge behalten«, sage ich unverbindlich, weil ich noch nicht ganz begriffen habe, worum sich die Unterhaltung eigentlich dreht.
Eigentlich würde ich gerne sagen, dass ihr Mann dem Anschein nach der analfixierteste Pedant ist, dem ich je begegnet bin, und dass ich keine Ahnung habe, was die temperamentvolle Sandrine an ihm findet; aber dann gebe ich doch mein Bestes, immer an den richtigen Stellen zu nicken, während die anderen ihre Unterhaltung fortsetzen.
Nach etwa fünf Minuten murmele ich etwas davon, dass ich nach dem Essen schauen muss, und mache mich davon. An der Tür bleibe ich stehen und mache Bestandsaufnahme. Die Gäste tanzen oder palavern. Jeder hat ein gefülltes Glas in der Hand. So weit, so gut. Ich gestehe mir schon fast ein wenig Erleichterung zu. Die Party gelingt.
Art erhascht meinen Blick und lächelt. So entspannt habe ich ihn seit Wochen nicht gesehen. Ganz offensichtlich genießt er die Unterhaltung mit Sandrine und ihrem Mann. Ich wende mich ab. Eine Zeit lang kann ich Arts Geschäftskollegen ertragen, aber jetzt muss ich mich erst einmal meinen eigenen Freunden widmen. Alle meine Ängste wegen Beth existieren weiterhin, sind aber durch die Party in den Hintergrund gedrängt, und ich muss jetzt vor allem mal ein bisschen Dampf ablassen und mich vom Stress der vorigen Tage erholen.
Auch Hen und Morgan haben sich in die Küche verzogen. Sie plaudern mit einer Gruppe von Frauen, darunter Sue und einige meiner alten Studienkollegen. Morgan lächelt mich an, als sie zur Toilette geht, aber die andern sind so sehr ins Gespräch vertieft, dass sie gar nicht bemerken, dass ich mich zu ihnen gesellen möchte.
»Ist doch eine Frechheit, dass man sie jetzt schon mit drei auf die Warteliste setzen muss«, ereifert sich Sue und sticht mit dem Zeigefinger in die Luft.
Einige Frauen nicken. Ich stehe jetzt direkt neben ihnen, und noch immer bemerken sie mich nicht.
»Ich weiß, aber das ist immer noch besser, als in dieser Phase zu wechseln«, seufzt Hen mit einer tiefen Furche in der Stirn. »Meadway kann eigentlich nur besser sein. Seine jetzige Schule ist ein richtiges Loch – und die Zahl der Schüler pro Klasse ist einfach nicht zu fassen …«
Meine Begeisterung für die Unterhaltung schwindet rasch. Nicht dass mir das Thema egal ist, aber ich bin zwangsläufig auf die Rolle der Zuschauerin festgelegt.
»Und es ist ja nicht nur die Größe der Klassen«, schiebt Sue vertraulich ein. »Die Lehrer haben ja auch viel zu geringe Erwartungen. Beim letzten Elternsprechtag sagt seine Klassenlehrerin doch tatsächlich: ›Mit Alfie gibt’s keine Probleme, also gibt’s auch nichts zu besprechen‹, so als wäre er ihr komplett egal, solange er nicht den Anschluss verliert und ihnen den Notenschnitt verdirbt.«
»Genau.« Hen schüttelt den Kopf. »Wenn’s bloß nicht so fürchterlich teuer wäre, auf die Private zu wechseln, besonders jetzt, wo es bald zwei sind.«
Zwei?
Ich trete einen Schritt zurück.
Hen bemerkt mich und zwinkert. »Oh, Gen, hallo … alles in Ordnung?«
Ich starre sie an. Aus Scham und schlechtem Gewissen wird sie puterrot. Mir zieht es die Brust zusammen, als ich endlich begreife, was sie da eben gesagt hat.
»Schon okay.« Ich versuche zu lächeln.
»Ich habe es auch erst erfahren«, sagt sie schnell. »Ich wollte es dir erzählen – deshalb wollte ich mit dir reden.«
Ich blicke in die Runde. Alle anderen sehen ebenso schuldbewusst drein. Sie wussten, dass Hen schwanger ist. Alle.
»Hey, das sind ja tolle Neuigkeiten«, sage ich, um meine Verlegenheit zu überspielen. »Wann soll es denn kommen?«
»Ist noch eine Ewigkeit hin.« Hen reibt sich die Nase. »Im September. Ende September.«
Ich nicke und rechne kurz nach. Sie muss ungefähr im dritten Monat sein. Was selbst bei einer schusseligen Person wie Hen bedeutet, dass sie es seit mindestens einem Monat wissen muss. Erst recht heute Nachmittag, als sie mir mit den Vorbereitungen half. Eine
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