Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
kleine Stimme in meinem Kopf erinnert mich daran, dass ich mich in letzter Zeit fast nur um meine eigenen Sorgen gekümmert habe und dass es für Hen nicht einfach gewesen wäre, mir von ihrem zweiten Kind zu erzählen, während ich gerade das Trauma des verlorenen ersten noch einmal durchleiden musste. Trotzdem sitzt der Stachel tief, dass meine beste Freundin mir die freudige Nachricht vorenthalten hat.
Ich muss natürlich sofort daran denken, wie sie es damals erfuhr und es mir als Erste verriet – genau wie ich zuallererst ihr von meiner Schwangerschaft mit Beth erzählt hatte. Wir bewahrten unsere Geheimnisse damals für mehr als einen Monat. Nicht einmal ihre eigene Mutter weihte sie ein.
Und jetzt erfahre ich es als Letzte.
Die Musik dröhnt in meinen Ohren. Alle sehen betreten zwischen Hen und mir hin und her. Niemand sagt etwas.
Ich zwinge ein Lächeln in mein Gesicht. Ich bin ungerecht gegenüber Hen, und ich freue mich für sie. Wirklich. Ich küsse sie auf die Wange. »Das ist wirklich großartig. Was war das, worüber ihr euch unterhalten habt? Die Schule?«
»Ja, aber das ist todlangweilig«, grinst Sue. »Hey, super Party. Und die Schwarzwälder Kirschtorte ist einfach köstlich. Meine Mum hat die auch immer gemacht, aber statt der Kirschen hat sie Trauben genommen.«
»Danke.« Ich lächle weiter, weiß aber, dass es aufgesetzt wirkt. In Wahrheit kann ich es nicht ertragen, wenn ich beim Thema Kinder wie eine Invalide behandelt werde. Ich sehe Hen wieder an, sie blickt zur Seite.
Und dann bin ich mit einem Mal wahnsinnig wütend. Damals waren Hen und ich gleichzeitig schwanger, aber nun ist sie eine richtige Mutter und ich nur ein Schatten davon. Und dass unsere Babys damals zur selben Zeit zur Welt kommen sollten, macht alles nun noch viel schlimmer. Nats Geburtstag, sechs Tage vor Beths, erinnert mich jedes Jahr aufs Neue daran. Bloß dass Beth nie einen Geburtstag hatte. Keinen einzigen. Nie.
Mir steigen Tränen in die Augen. Scheiße.
»Oh, Gen, es tut mir so leid.« Hen fasst mich am Arm. »Ich wollte dich nicht verstören.«
»Hast du nicht«, sage ich heftiger als beabsichtigt. »Um Himmels willen, es ist alles in Ordnung.«
Es entsteht eine peinliche Pause. Ich starre auf den Boden, die Wut verfliegt wieder, und ich werde überwältigt von der Zukunft. Meiner Zukunft – in der alle über ihre Kinder reden, über Schulen und Prüfungen, über Universitäten und unpassende Partner und dann, in zwanzig oder dreißig Jahren, über ihre Enkel und deren Schulen und Prüfungen und so fort … und ich werde bei dem ganzen Gespräch außen vor bleiben.
Für immer.
Ich sehe auf und ringe mir noch ein Lächeln ab, als ich Hens mitleidigen Blick erhasche. Ich löse mich von ihr und Sue. »Alles okay, mir geht’s wirklich gut. Ich muss nur mal eben was nachsehen.«
Ich drehe mich um und kämpfe mich hinaus auf den Flur. Mehrere Leute sprechen mich im Vorbeigehen an, aber ich ignoriere sie. Ich möchte gern hinaus in den Vorgarten, aber es klingelt, und sofort ist die Haustür von Leuten blockiert, die sie öffnen wollen.
Ich mache kehrt und achte nicht auf die Freudenschreie hinter mir, als die Tür geöffnet wird. Wie ich dieses Selbstmitleid hasse! Wenn ich mich nur einen kurzen Moment einmal still hinsetzen könnte, dann wäre ich bestimmt schnell darüber hinweg. Ich schaffe es bis zur Abstellkammer, öffne die Tür und stoße dort auf Arts Sekretärin Siena, eng umschlungen mit einem jungen Typen aus der Firma. Sie fliegen augenblicklich auseinander, und ich bin so verlegen, dass ich mich entschuldige und wieder hinausgehe.
Ich gehe wieder Richtung Wohnzimmer. Verdammt noch mal, sind hier viele Leute! Das Haus ist zum Bersten voll. Vor fünf Minuten habe ich es noch genossen, und jetzt wünschte ich mir, alle würden verschwinden, damit ich mich wieder Beth widmen kann, den Behauptungen von Lucy O’Donnell und all den anderen lächerlichen Bestandteilen meines armseligen Lebens als Nicht-Schriftstellerin.
Wütend und missgestimmt komme ich ins Wohnzimmer und sehe, wie Art gerade einem Mann in Jeans und schwarzem Pulli, den ich nicht kenne, die Hand schüttelt.
Der ganze Vorstand von Loxley Benson steht um die beiden herum, und obwohl die Musik läuft, sind alle Augen im Raum auf Art und den Fremden gerichtet. Ich blicke Kyle an. Er lächelt nicht.
Dann muss das Lorcan Byrne sein.
Kapitel 7
Lorcan Byrne ist hochgewachsen, etwa einen halben Kopf größer als Art, also knapp eins
Weitere Kostenlose Bücher