Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
fort; erst kurz vor halb acht laufen die beiden ein, haben Essen mitgebracht. Art wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Das Ganze war nicht seine Idee, und wieder frage ich mich, warum er sich keine Ausrede hat einfallen lassen.
Lorcan sieht ebenso entspannt aus wie auf der Party. Er kommt ins Wohnzimmer und begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange, so als wären wir schon alte Freunde.
»Wie war dein Tag?« Der Akzent gibt seiner Stimme eine gewisse Sanftheit – aber da ist auch eine unterschwellige Härte, die das Behagliche wieder relativiert.
»Gut«, antworte ich achselzuckend und schäme mich plötzlich meiner Untätigkeit. Außer dem Essen mit Morgan habe ich seit der Party eigentlich nichts unternommen. Kein Wunder, dass mich Morgan so verächtlich angesehen hat; ich kriege anscheinend kaum mehr etwas auf die Reihe.
Ich hole Bier, während Art das Curry in die Küche bringt und die Kartons auf ein Tablett stellt.
Lorcan setzt sich aufs Sofa, genau auf die Stelle, wo er sich bei der Party mit mir unterhalten hat. Er zieht ein Schweizer Armeemesser aus der Tasche und klappt den Kapselheber heraus. Er öffnet eine Bierflasche und schiebt sie mir hin. Das Messer legt er vor sich auf den Tisch. Seine praktische, kompakte Form fasziniert mich, und ich greife danach.
»Vorsicht!«, ruft Lorcan. Zu spät. Direkt unter dem Kapselheber ragt die Klinge hervor und ich schneide mich. Ich lasse das Messer auf den Tisch fallen und starre meinen Zeigefinger an. Schon quillt ein dicker Tropfen Blut heraus.
»Das ist ja mörderisch«, sage ich und stecke den Finger in den Mund.
»Ich weiß. Entschuldigung.« Lorcan hustet. »Ich würde … Cal hat mir das geschenkt. Und er schleift die Klinge nach, wann immer er kann. Ist es schlimm?«
»Geht schon.« Ich sehe mir den Schnitt an. Schon quillt der nächste Blutstropfen hervor. Ich presse den Daumen darauf. »Ist ja nur ein Kratzer.«
Lorcan nimmt das Messer wieder an sich. Er hält es sehr vorsichtig, als er den Deckel von der zweiten Flasche hebelt. Er trägt dunkle, leicht verwaschene Jeans. Die Jacke hat er ausgezogen; der Pullover darunter ist dunkelgrau, mit einem weiten Ausschnitt. In die dunklen Bartstoppeln mischt sich etwas Rot. Das Licht bricht sich darin, als ihm eine Haarsträhne in die Stirn fällt.
Er wendet den Kopf. »Müde?« Er schiebt meine Bierflasche wieder vor mich.
Ich schüttele den Kopf und merke, dass ich rot werde. »Nein … Es ist schön, dass du da bist.«
Lorcan lacht. »Ich habe gemeint, ob du von der Party noch müde bist. Das hat sich ziemlich deprimiert angehört, als ich nach deinem Tag gefragt habe.«
»Hat es?«, winde ich mich. »Nein, nein … heute war ein schöner Tag. Ich habe bloß nicht viel gemacht.«
»Hey, war doch kein Vorwurf.« Er lacht wieder und hält die Flasche hoch. »Sláinte!«
»Cheers!«
Lorcan grinst. »Bier ist inzwischen mein einziges Laster. Und bei dir?«
»Alkohol in allen Varianten, aber doch hauptsächlich Bier und Wein.«
»Prima.« Lorcan greift nach einer dritten Flasche, für Art. »Keine anderen Schwächen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Nee, da bin ich stinklangweilig.«
Lorcan blickt auf. »Da habe ich doch ernsthafte Zweifel.« Er überlegt kurz. »Also, wie geht’s dir wirklich?«
»Na, ganz so toll war’s vielleicht nicht heute.« Wie viel soll ich ihm erzählen? »Ich bin wahrscheinlich doch noch etwas angeschlagen von der Party, und Morgan kann auch ziemlich anstrengend sein, wie du weißt … aber dafür haben wir uns mit Kyle und Vicky getroffen, und das war sehr nett. Da ist nur so eine Sache … die mir im Kopf herumgeht …«
Er blickt auf. »Klingt kompliziert.«
»Ist es auch.« Ich sehe weg.
»Und von dem« – Lorcan senkt die Stimme –, »was dir im Kopf herumgeht, soll Art lieber nichts erfahren?«
Ich sehe ihn groß an, und das Herz schlägt mir im Hals.
Woher weiß er, dass ich Geheimnisse vor Art habe?
Ich will ihn fragen, wie er das meint, aber im selben Augenblick kommt Art wieder ins Wohnzimmer.
Kapitel 8
Ich sehe weg. Wie peinlich, dass ich so leicht zu durchschauen bin!
»Wir haben viel zu viel Zeug mitgebracht.« Art schleppt ein großes Tablett mit lauter Essenskartons voller Curry herein. Er hat ganz offensichtlich nicht gehört, was Lorcan eben gesagt hat, aber ein Blick in mein Gesicht, und ich wäre verraten.
»Ich gehe mal Teller holen.« Wieso klingt meine Stimme so schrill? Ich husche in die Küche und bin völlig verunsichert.
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