Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
anderen Ende des Hauses stehen. Ich gehe hinüber. Ich habe jedes Recht, in das Haus dieses Mannes einzudringen. Er hat mich angelogen. Ich nehme den kleinsten Topf, kehre zurück zu Lorcan, reiche ihm den Topf und zeige auf das Fenster. Lorcan blinzelt nervös. Zum ersten Mal, seit ich ihn kennengelernt habe, hat er seine Gelassenheit verloren.
»Wenn wir das tun«, sagt Lorcan, »dann wird Rodriguez wissen, dass wir hier gewesen sind.«
»Er weiß sowieso, dass wir hinter ihm her sind.« Mit einem Mal wird mir klar, was das zu bedeuten hat. Ich habe einen vollkommen kühlen Kopf. Einerseits weiß ich, dass das, was ich vorhabe, völlig verrückt ist, andererseits bin ich mir sicher, dass mir keine andere Wahl bleibt, wenn ich wissen will, was mit meiner Tochter passiert ist. »Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wenn wir einfach weggehen, kann Rodriguez alles beiseiteschaffen, was er hier versteckt hält – oder es zerstören. Ich kann mir diese Chance nicht entgehen lassen.«
Lorcan stößt die Luft aus. »Okay.« Sekunden später schleudert er den Topf gegen das Glas. Das Geräusch durchbricht die Stille. Glasscherben fallen zu Boden – ein hübscher, für einen gewalttätigen Akt völlig unpassender Klang.
Ich stehe stocksteif da und warte auf eine Reaktion. Nichts. Kein Licht. Keine Stimmen. Ich blicke um mich. Das Haus liegt weit genug entfernt vom nächsten Nachbarn. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass jemand uns gehört hat.
Lorcan hat seine Jacke ausgezogen und sie sich um den Arm gewickelt. Er greift durch die zerbrochene Fensterscheibe, schlägt eine große Scherbe weg, die seitlich hervorsteht. Mit einem schnellen Klick entriegelt er das Fenster. Einen Moment später schiebt er es hoch.
»Ich steige hier durch.« Lorcan stützt sich bereits mit einem Knie auf die Fensterbank. »Lasse dich vorne rein.«
Ich nicke. »Okay.«
Lorcan verschwindet in der Dunkelheit des Zimmers. Ich kann keines der Möbelstücke deutlich erkennen, nur ein paar dunkle Formen an der hinteren Wand, bei denen es sich um Sessel oder Schränke oder sogar ein niedriges Bücherregal handeln könnte.
Kurz danach öffnet sich die Eingangstür. Ich husche über den Kies und schlüpfe hinein. Lorcan drückt neben mir auf einen Schalter, und der Raum erstrahlt in hellem Licht. Wir befinden uns in einer Eingangshalle – typisch englische Mittelschicht, mit Strukturtapete, cremefarbener Zierleiste, cremefarbenem Teppich und eleganten, üppig verzierten antiken Holzmöbeln. Mehrere Ölgemälde in gedämpften Farben hängen an der Wand.
»Gott, dieses Zeug muss ein Vermögen wert sein«, sagt Lorcan. »Man kommt sich hier vor wie am Set von Kunst & Krempel . Was immer er sonst ist, dieser Mann ist stinkreich.«
Ich denke zurück an den professionellen Eindruck, den Rodriguez gemacht hat, als wir uns kennenlernten. Er war freundlich und charmant und wirkte sehr beruhigend auf mich. Wut steigt in mir hoch. Mein charismatischer Arzt ist ein Schwindler, und ich bin auf seine Show hereingefallen. Komplett!
Links neben der Tür steht ein polierter Holztisch unter einem goldgerahmten Spiegel. Ich erhasche einen Blick von mir, als ich daran vorbeigehe, und erkenne die intensiven Augen und das blasse Gesicht kaum wieder.
Lorcan ist direkt hinter mir. Sein Gesicht wirkt entspannt, doch in der Stille des Hauses kann ich seinen gehetzten, flachen Atem hören. Ich drehe mich zu ihm um, überwältigt, dass er dabei ist, alles riskiert.
»Vielen, vielen Dank«, sage ich. »Ohne dich hätte ich das alles nicht tun können.«
»Dann sollten wir auch dafür sorgen, dass es sich lohnt.«
Ich schalte das Licht in der Eingangshalle aus und folge Lorcan die Treppe hinauf. Oben, im Flur des ersten Stocks, öffnet Lorcan jedes Zimmer, um die Fenster abzuzählen, bis wir dasjenige erreichen, in dem wir Rodriguez nur wenige Minuten zuvor gesehen haben.
Es ist ein Büro. Klein, ähnlich eingerichtet wie die Eingangshalle und mit schweren Brokatvorhängen vor dem Fenster. An einer Wand steht ein großer Eichenschreibtisch neben einem dazu passenden Bücherschrank. Auf einem eleganten antiken Aktenschrank unterhalb des Fensters sind ordentlich Papierstapel nebeneinander aufgereiht.
Während ich mich umsehe, geht Lorcan zum Schreibtisch hinüber, setzt sich und schaltet den Computer ein. Summend erwacht er zum Leben, und Lorcan beginnt, die Tastatur zu bearbeiten.
»Was machst du da?«, frage ich.
»Nachsehen, ob Rodriguez irgendwelche Dateien unter
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