Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
deinem Namen hat«, sagt Lorcan, ohne sich umzudrehen. »Untersuch du doch diesen Aktenschrank. Aber beeil dich, er kann jeden Moment zurückkommen.«
Ich ziehe die Vorhänge zu, damit niemand das flackernde Computerlicht sieht, hocke mich dann auf den Boden und gehe die Papiere durch, die auf dem Aktenschrank liegen. Ich funktioniere mein Handy zur Taschenlampe um, damit ich sehen kann, was ich vor mir habe. Lauter Rechnungen und Abrechnungen neueren Datums. Ich ziehe an den Griffen des Aktenschranks. Die Tür ist abgeschlossen, aber ich spüre, dass das Schloss nicht solide ist. Es wäre ein Leichtes, die Tür aufzubrechen. Wieder zögere ich einen Moment lang. Lorcan sitzt noch immer über den Computer gebeugt.
Ich beiße die Zähne zusammen, packe dann mit beiden Händen die Griffe und reiße die Türen auf. Das Holz splittert.
»Nicht so laut«, murmelt Lorcan. »Wir sollten versuchen, möglichst leise zu sein.«
»Ich weiß.« Ich verdränge den Gedanken an die mutwillige Beschädigung des Aktenschranks und schaue hinein. Lauter Ablageboxen. Mir sinkt der Mut. Es würde die ganze Nacht dauern, sie zu durchforsten.
Ich ziehe die erste Box heraus und prüfe den Inhalt. Größtenteils Haushaltsrechnungen, soweit ich sehen kann. Ich nehme mir die zweite Box vor. Informationen über den Kauf des Hauses. Das Anwesen hat 1,3 Millionen Pfund gekostet, und Rodriguez hat den Vertrag zehn Monate nach Beth unterschrieben.
Ich lege die Papiere zurück in die Box. Das beweist nichts.
Die nächste Box ist voller Familienfotos. Die meisten zeigen Rodriguez als jungen Mann, umgeben von seinen Eltern, Tanten, Onkeln und Cousins.
Die nächste Box. Sie enthält Zeitungsausschnitte.
Ich schaue zu Lorcan hoch. Er ist ganz auf den PC vor ihm konzentriert. Er schiebt sich eine Locke aus der Stirn.
»Wie kommst du voran?«
»Ich komme nicht rein«, ächzt er. »Dazu bräuchte ich das Passwort. Ich werde die Schreibtischschubladen danach durchsuchen. Vielleicht hat Rodriguez es irgendwo aufgeschrieben. Das machen viele.«
Ich nicke und wende mich wieder der Aktenbox zu. Bei den meisten dieser Zeitungsausschnitte geht es um Durchbrüche in der Medizin im Zusammenhang mit IVF -Behandlungen. Sie stammen fast alle aus den frühen Neunzigern, bevor das Internet Aktenordner beinahe überflüssig gemacht hat. Ich stoße auf den Boden der Box und will sie gerade zur Seite schieben, als mir ein völlig anderer Zeitungsausschnitt ins Auge fällt.
Er ist viel jüngeren Datums als die anderen – etwa acht Jahre alt –, und es handelt sich um einen kurzen Bericht aus einer Oxforder Lokalzeitung über einen Unfall mit Fahrerflucht am Stadtrand. Ein Mann wurde getötet. Ich starre das Foto und den Namen in der Überschrift an.
Gary Bloode, Anästhesist der Geburtsklinik Fair Angel.
Es ist wie ein Schlag ins Gesicht.
Ich erinnere mich nun ganz deutlich an ihn – daran, wie er mit mir plauderte, bevor er mir die Narkose gab, wie er mir erklärte, dass die Spritze sich kalt anfühlen würde, und mich bat, von zehn rückwärts zu zählen. Er riss einen Witz über seinen Namen: »Bloode … ja, die Patienten werden bei meinem Anblick ohnmächtig.« Danach sah ich ihn nie wieder. Dachte nie wieder an ihn.
Und jetzt erfahre ich, dass er bei einem geheimnisvollen Unfall mit Fahrerflucht ums Leben gekommen ist! Nur wenige Wochen nachdem er bei Beths Entbindung dabei war. Genau dieselbe Todesart wie bei Lucy O’Donnell. Das ist sicher kein Zufall.
Ein leises, rasselndes Geräusch vom anderen Ende des Raums lässt mich aufblicken. Lorcan hat die oberste Schreibtischschublade aufgebrochen und schüttelt eine kleine Metalldose, die er darin gefunden hat. Ich sehe zu, wie er die Dose öffnet und einen Memorystick herausnimmt.
»Auf der Seite steht ein Datum.«
»Welches?« Ich rappele mich auf und stecke den Zeitungsausschnitt in meine Handtasche.
»11. Juni.«
Das Zimmer dreht sich um mich.
»Das war Beths Geburtsdatum«, sage ich.
Unsere Blicke treffen sich. Ohne ein Wort zu sagen, zieht Lorcan die Kappe des Sticks ab und wendet sich wieder dem Computer zu, um den Stick in den USB -Port zu stecken.
Mein Magen verknotet sich.
Und dann dringt von unten ein Geräusch nach oben; die Haustür öffnet sich. Lorcan sieht mich entsetzt an. Ich halte den Atem an, als Schritte die Eingangshalle durchqueren und jemand die Treppe hinaufsteigt.
Kapitel 12
Ich stehe wie angewurzelt da, als die Schritte den Treppenabsatz erreichen. Einen Moment
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