Seit jenem Tag
mal für eine Sekunde zurück in die Scheune.«
Ich springe aus dem Wagen, vielleicht zu überstürzt, sodass er mich nicht zurückhalten kann, und atme tief die saubere Landluft ein. Ein wenig schwindelig öffne ich die Tür und weiß plötzlich, dass ich ein ähnliches Gefühl hatte, wenn Sally mich antrieb, über meine Grenzen zu gehen, mich zwang, über den Rand des Abgrunds zu schauen.
Alles liegt noch genauso aufgehäuft, wie ich es verlassen habe, stelle ich fast schockiert fest. Ich spüre sie ganz akut und lebendig: Ich wäre nicht überrascht, wenn sie eine Furche in Raum und Zeit entdeckt hätte und zurückgekommen wäre, um mich daran zu erinnern, wer der Boss ist. Und ich wünschte, es wäre so, überlege ich mit einem Kloß im Hals angesichts der unumkehrbaren Indizien, dass sie nicht zurückkommt. Die halbleeren Kisten und die Kleiderstapel haben dem gestrigen Tag ihren Stempel aufgedrückt. Seit ich zuletzt hier stand, hat sich so viel verändert, vielleicht aber auch nicht – vielleicht kommt es nur mir verändert vor.
Der dunkelrote Mantel zieht mich magisch an. Ich hole ihn heraus und hänge ihn von außen an die Kiste, damit ich ihn eingehend betrachten kann. Bevor ich Sally kennenlernte, trug ich niemals was Farbiges – sie war es, die mir beibrachte, wie stark eine lebhafte Farbe auf deinen Bewusstseinszustand Einfluss nehmen und die Art und Weise, wie die Welt auf dich reagiert, verändern konnte. Ich ziehe die Armbündchen nach außen, fast als würden wir uns an den Händen halten, und Tränen brennen in meinen Augen. »Es tut mir so leid«, flüstere ich. »Bitte hasse mich nicht.«
Es bedarf großer Anstrengung, mich wieder zu sammeln: Zweimal schaffe ich es zwar bis zur Tür, muss aber stehenbleiben und nach Luft schnappen. Der Mantel hängt da wie ein Ausrufezeichen – bevor ich gehe, stopfe ich ihn zurück in die Kiste, aus der er gekommen ist.
Als ich wieder in den Wagen steige, starrt William ins Leere.
»Tut mir leid, ich musste einfach …«
Er fällt mir ins Wort. »Ich habe die Bahnauskunft angerufen. In fünfunddreißig Minuten fährt ein Zug von Branksome, ich muss jetzt also Gas geben.«
Ich drehe ihm mein Gesicht zu, aber sein Blick fixiert bereits die Einfahrt und sein Kiefer ist fest verschlossen und lässt nichts Unerwünschtes entkommen.
»Ich bin bereit.«
März/April/Mai 1996
Die Gewinner und die Verlierer meines Geburtstagsinfernos waren wie folgt in umgekehrter Reihenfolge:
VERLIERER – James und ich. Als ich in mein Schlafzimmer zurückkam, war er vollständig angezogen und saß kerzengerade auf der Bettkante, als wartete er darauf, dass der Stabsfeldwebel zur Inspektion hereinkam. Er führte mich zu einem herzzerreißenden überstürzten »Geburtstagsfrühstück« aus, obwohl er schon auf dem Weg zu seinem Zug war, den er, wie er behauptete, unbedingt kriegen musste, um noch einen dringenden Essay zu schreiben. Die Armseligkeit dieser Ausrede fand ich fast schlimmer als die Tatsache, dass er glaubte, eine zu brauchen – ich kam mir vor, als wäre ich in ein feindliches Lager geraten und zu einem typischen Mädchen geworden, das man manipulieren musste, nachdem unsere ganze verwirrende, unruhige Freundschaft durch einen katastrophalen Fehler kaputtgemacht worden war. Ich kannte ihn viel zu gut, um zu wissen, dass er seine akademische Karriere für die Chance auf Spaß gern hintanstellte: Er hätte bis in die frühen Stunden des Montagmorgens an seinem Essay geschrieben und diesen dann seinem Tutor mit einem Lächeln überreicht, das ihm eine Eins eingebracht hätte.
Unser gemeinsames Frühstück war ein Spiegelbild meiner neuen herabgestuften Rolle. Er gab sich offensiv höflich, mopste sich keine einzige Pommes von meinem Teller, unterdrückte einen Rülpser, als wäre es unzumutbar, ein empfindliches Wesen wie mich damit zu beleidigen. Er erkundigte sich sogar danach, wie es mir in meinem Seminar ging. Selbstverständlich kam keiner von uns darauf zu sprechen, dass er vor nicht mal zwölf Stunden über meinen nackten Körper gekrochen war. Als er wieder zurück in Norwich war, hörte ich keinen Ton mehr von ihm, und während der gesamten Osterferien nahm keiner mehr zum anderen Kontakt auf.
Ohne Sally wäre ich vor Scham gestorben, so verletzt fühlte ich mich. Sie vermochte mich zwar abzulenken, aber nicht in dem von mir erhofften Maß.
GEWINNER – Sally und Shaun. Während hinter der Beziehung von Matt und mir die Tür zuschlug, öffnete sie
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