Seit jenem Tag
Hoffentlich bleibt er nicht auf Dauer in diesem Niemandsland stecken, wo sein brillanter Kopf ihm zum ärgsten Feind wird und ihn mit nicht zu beantwortenden Fragen über seine schwer fassbare, unerreichbare Ehefrau quält. Mit einem Geist will doch wohl keiner verheiratet sein? Oder es ist genau das, was er möchte.
»Glaub mir, Livvy. Ich kenne meine Tochter, und ich … Es wird mit Sicherheit eins ihrer albernen Spielchen gewesen sein. Ein weiterer kleiner Trick, um Daddy eins auszuwischen. Und so viel Geld ist es auch wieder nicht, dass es für eine Wohnung in Manhattan gereicht hätte.«
Ich frage mich, warum sie nur ein Kind hatten. Es klingt verrückt, aber ich muss ständig an den Reiz der Dreierkonstellation denken, denn eine Dreierkonstellation, die sie zweifellos beherrschte, dürfte Sally gefallen haben. Schweigend verweilen wir und nippen an unserem unbestreitbar köstlichen Wein. »Ein köstlicher Wein«, sage ich mit der Stimme einer Fremden.
»Danke.« Und nach einer Weile: »Es gibt da etwas, das ich dich fragen wollte.«
»Was denn?«
Er schaut mich an und kämpft sichtlich mit sich.
»Was sie über mich gesagt hat«, sagt er mit leiser Stimme. »Ich weiß, was sie mir über dich gesagt hat, aber … wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
Mir wird übel, ich bin den Tränen nah, weil die Erinnerung sich mir unglaublich scharf aufdrängt.
»Hm, das muss wohl ein paar Monate vor eurer Hochzeit gewesen sein.« Ich spreche mit der Stimme einer Lügnerin. Als wüsste ich es nicht – als würde es nicht genau darum gehen. Er sieht mich flehentlich an. »Sie sagte, du seist sehr nett, und du würdest dich um sie kümmern.« Das reicht nicht. Eine Sekunde lang hasse ich sie, hasse sie dafür, dass sie mich das tun lässt, doch dann fällt mir ein, dass mich keiner mit vorgehaltener Waffe zu dieser verrückten Version einer Beziehung zwingt. »Sie war ganz aus dem Häuschen, weißt du – sie würde bald heiraten.«
Wir landen wieder in seinem breiten Bett in einem Raum, der so uniform und nichtssagend ist, wie ich ihn in Erinnerung habe. Ein Hardcoverbuch über die Finanzkrise liegt auf dem Nachttisch, und auf der Kommode steht ein Urlaubsfoto von den dreien – ich bin versucht, ihn zu fragen, ob er es nicht umdrehen kann, aber das entspräche dann doch zu sehr dem Klischee der bösen Stiefmutter in einem Märchen. Stattdessen verharrt ein Teil von mir wachsam und aufmerksam die ganze Zeit über in einer Ecke des Raums und sorgt dafür, dass wir allein bleiben. Obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin.
Anschließend halte ich mich an ihm fest und versuche, seine Nähe zu spüren. Selbst als er ganz tief in mir drin war, fühlte ich mich ihm nicht so verbunden wie in den Minuten, als wir seine Rede schrieben. Warum fühlt sich alles an wie auf den Kopf gestellt?
»Du bleibst doch, oder?«
»Ja«, flüstere ich mit meinem Kopf auf seiner Brust. Sein Atem scheint darin gefangen zu sein, und ich rolle mich sanft zur Seite. »Gute Nacht, Livvy«, murmelt er schon im Halbschlaf. Sein Gesicht wird weich und entspannt sich, als ihn der Schlaf übermannt. Und ich habe das Gefühl, über ihn zu wachen.
Der Weckalarm meines Telefons meldet sich um sechs Uhr, aber irgendwie schaffe ich es, ihn im Schlaf auszuschalten. Der nächste Wecker, der mich begrüßt, ist sieben Jahre alt und hält ein Exemplar der Hanni und Nanni -Bücher in der Hand. Es fällt mir schwer, nicht loszukreischen.
»Guten Morgen, Olivia«, sagt Madeline leichthin. »Carlotta ist ein sehr ungezogenes Mädchen. Möchtest du, dass ich dir von ihr vorlese?«
William richtet sich ruckartig und mit entsetzter Miene auf. Ich mumifiziere mich mit dem Laken und ringe krampfhaft um Fassung. Die Uhr zeigt 6:37.
»Guten Morgen, Daddy. Ich habe meine Brotzeitdose gepackt. Und heimlich zwei Schokoriegel reingetan, aber auch einen Apfel.«
»D-das ist gut. Dann geh doch jetzt deine Zähne putzen, während ich mich ums Frühstück kümmere. Es ist noch sehr früh.«
»Aber ich lese doch Olivia was vor!«
»Ich mache dir einen Vorschlag, lies mir doch was vor, wenn wir alle unsere Zähne geputzt haben?«, sage ich. Das Blut pocht mir in den Schläfen.
Während Madeline zufrieden davontrottet, wirkt William alles andere als glücklich. Ich schenke ihm ein Lächeln, aber er vermag seine Mundwinkel auch nicht annähernd nach oben zu ziehen.
»Sie wirkt nicht allzu traumatisiert«, sage ich und strecke meine Hand nach ihm aus.
»Hoffentlich
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