Seit jenem Tag
gestellt, werde aber schon um halb sechs wach und liege dann steif vor Angst im Bett. Gott sei Dank werde ich Jules an meiner Seite haben, welche Motive William auch immer bewogen haben mögen, sie einzuladen. Seit jenem schicksalshaften Morgen habe ich kaum mehr etwas von ihm gehört – es gab ein paar SMS und eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter so früh am Morgen, dass er, wie ein zynischer Teil von mir überlegte, davon ausgehen konnte, ich würde noch schlafen, um mir mitzuteilen, dass die Pläne für die Taufe »sich positiv gestalteten«. Wir hatten noch nicht mal besprochen, wie wir das heute handhaben sollten, abgesehen von unserer stillschweigenden Übereinkunft, dass es zu früh war, andere zu informieren. Ich hatte Lola eine E-Mail geschrieben (aus Feigheit), um sie wissen zu lassen, dass ich gebeten worden war, Patin zu werden, und bekam darauf eine so knappe Antwort, dass ich den leisen Verdacht hatte, sie könnte sich, auch wenn sie nicht davon ausging, zwischen William und mir könnte irgendwas passieren, womöglich fragen, ob ich es nicht darauf anlegte.
Ich bin gerade damit beschäftigt, Festiger in mein Haar einzumassieren, als es in der Küche nebenan ein paar Mal heftig scheppert. Ich wickele mich in ein Handtuch und stürme hinein: James schmeißt mit hochrotem Kopf Töpfe auf den Fußboden, und sein Lieblingskaffeebecher liegt in Scherben vor ihm.
»Was machst du da?!«
»Dieses verdammte Miststück!«
»Beruhige dich«, sage ich und packe ihn am Arm. »Komm und setz dich.«
Er lässt sich am Küchentisch nieder und schiebt mir mit gequälter Miene sein iPhone hin.
James, durch Dich ist mein Leben sehr kompliziert geworden, und Du hast Peter sehr wehgetan. Deine Anrufe zu derart komischen Zeiten haben ihn misstrauisch gemacht, sodass er sich meine E-Mails angesehen hat. Er weiß alles. Als es danach aussah, als wäre alles vorbei, ist mir klar geworden, wie viel ich aufgeben würde – Du bist ein guter Kerl, aber Peter und mich verbindet einfach zu viel. Es wäre ein absolutes Chaos, wenn ich mich von ihm trennen würde und wir unsere gemeinsame Wohnung aufgeben müssten, und deshalb habe ich ihn gebeten, mir eine zweite Chance zu geben. Was uns beide verband, war Verliebtheit, ein Strohfeuer, aber Liebe ist was Längerfristiges – und ich hoffe, Du findest jemanden, der sich langfristig auf Dich einlässt. Du darfst unter keinen Umständen wieder Kontakt zu mir aufnehmen. Ich wünsche Dir alles Glück der Welt. Charlotte
Unsere gemeinsame Wohnung aufgeben müssten – mir war klar gewesen, dass ihre gierigen kleinen Klauen niemals den Smeg-Kühlschrank loslassen würden. Doch in einem Punkt hat sie recht, die Liebe ist was Längerfristiges und kein Strohfeuer, das abgebrannt ist, bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Das hat James bis jetzt nicht kapiert. Ich betrachte sein ungläubiges Gesicht, den Schmerz, der sich darin eingegraben hat – vielleicht hat er es nun endlich verstanden, aber sie war nicht bereit gewesen ihn anzuhören.
»Ach, Süßer«, sage ich und lege meinen Arm um seine breiten Schultern, und er lässt, als er den Druck spürt, seinen Kopf auf seine Arme sinken, und seinem tiefsten Inneren entringt sich ein gutturales Schluchzen. Ich stehe neben ihm, streichele ein wenig erschrocken seinen Rücken. Ich glaube nicht, James jemals richtig aufgelöst erlebt zu haben: Bei Sallys Beerdigung hat er ein paar stille Tränen geweint, doch die Heulsuse war ich inmitten zerfetzter Papiertaschentücher auf unserer Bank. Und beim Gedanken, in wenigen Stunden dorthin zurückzukehren, wird mir angst und bange. Mit schlechtem Gewissen werfe ich einen Blick auf die Uhr und weiß dann, dass ich ihn nicht länger als zwanzig Minuten lang trösten kann.
»Es wird dir bald besser gehen«, versichere ich ihm, weil es meiner Erfahrung entspricht, allerdings weiß ich natürlich auch, dass es sich nur nach einer abgedroschenen Floskel anhört, zu der man greift, weil man zu wenig Zeit hat, sich wirklich Mühe zu geben. Ich kann nur hoffen, dass Sallys Tod mich nicht hat hart werden lassen und in eine Art selbsternannten Moralapostel verwandelt hat, der sich anmaßt, radikale Urteile darüber zu fällen, wer das Recht zum Trauern hat.
»Ich liebe sie, Livvy, ich liebe sie wirklich.« Nein, tust du nicht, sage ich mir, du kennst sie nicht einmal, aber das auszusprechen, wäre wenig hilfreich. »Ständig musste ich an deine Worte denken, dass es keine richtige Beziehung ist,
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