Seit jenem Tag
Aufregung vorausrennt und es genießt, im Mittelpunkt zu stehen. Ich spüre dabei den Atem Sallys, wie sie auf meiner Party zum neunzehnten Geburtstag als strahlende Erscheinung aller Augen auf sich zog. Die vier Paten treten vor: Neben mir sind das noch Williams Freund Ronan, Sallys Bruder und Belinda, eine sehr gut aussehende Frau, die wie der Rest der Familie eine beeindruckende Selbstbeherrschung zeigt. Die übrigen Gäste versammeln sich um uns herum, und ich konzentriere mich auf meine Aufgabe und gebe meine Antworten so klar und selbstsicher, wie ich kann. William lächelt mich dabei an, und endlich verweilt sein Blick auf mir. Er wärmt mich, und ich kann nur hoffen, dass mein Gesicht nicht lautstark die Wahrheit verkündet, die noch nicht einmal im Flüsterton ausgesprochen werden darf. Der Geistliche bringt das Ritual zum Abschluss, indem er Madelines nach oben gerichtetes Gesicht mit Weihwasser besprengt, dann ist alles vorbei, und die Anspannung lässt spürbar nach. »Gut gemacht«, gibt Jules mir lautlos zu verstehen und schaukelt gleichzeitig das quengelnde Baby. William, der Madeline an der Hand hält, wendet sich mir zu.
»Ich danke dir«, sagt er mit einem besorgten, aber doch liebevollen Lächeln. »Bedank dich bei deiner Patin, Madeline.«
»Danke«, sagt sie und grinst mich an. Gerührt hoffe ich im Stillen, dass sie vielleicht mit der Zeit genauso glücklich sein werden, mich um sich zu haben, wie in diesem Moment. Und womöglich kann die Tatsache, dass ich wirklich verstehe, wie traurig es ist, helfen, es begreiflicher und wahrhaftiger zu machen.
»Nein, ich habe dir zu danken, dass du mich gefragt hast«, plappere ich erleichtert. »Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu sagen, dass Nathaniel sich über mein Kleid erbrochen hat, als wir herkamen und …«
Belinda kommt und legt eine Hand auf Williams Arm.
»Wir sollten uns darum kümmern, dass die Gäste erfahren, wo sie hinmüssen«, sagt sie. Mit einem kurzen abwesenden Lächeln in meine Richtung tut sie ihrer Pflicht Genüge.
»Es tut mir leid, du musst mich entschuldigen«, entgegnet William und wendet sich zum Gehen. »Wir sehen uns dann beim Empfang.« Ich stehe da und blicke ihm nach, bemüht, nicht niedergeschlagen zu sein und mich nicht wie ein Mauerblümchen zu fühlen. Heute geht es nicht um mich.
Der Empfang findet im Veranstaltungsraum eines reizenden alten Landgasthofs mit Eichenbalken und lodernden Kaminen statt. Im Hintergrund laufen Adventslieder, und bei dem Gedanken an das bevorstehende Weihnachten schiele ich rüber zu William, der von ernst dreinblickenden Gästen umgeben ist, die alle das gleiche mitfühlende Lächeln aufgesetzt haben. Er wird mit Angst an das bevorstehende Fest der Liebe denken.
»Soll ich uns einen Glühwein holen?«, fragt Jules und wirft gierige Blicke auf den Topf.
»Sieh zu, ob du auch an ein Mince Pie drankommst.«
»Dann nimm du Nathaniel«, sagt sie und drückt ihn mir in die Arme. Anfangs halte ich ihn sehr vorsichtig, weil ich auf der Hut vor einem weiteren Schwall Erbrochenem bin, aber er scheint sehr zufrieden an seiner Gummigiraffe herumzukauen, sodass ich es wage, ihn fester an mich zu drücken.
»Wer ist denn dieser kleine Wonneproppen?«, spricht Claire mich an, die auch zu unserer Clique im Wohnheim gehörte und die ich zuvor jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Auf der Beerdigung hatten wir uns nur ganz kurz gegrüßt.
»Oh, er ist nicht …« Ich drücke ihn fester an mich und genieße es, seinen warmen Körper an meinen gekuschelt zu spüren, von wo aus seine großen Augen überrascht zu mir hochblicken.
»Dieser süße Junge«, sagt Lola, die sich mir von der anderen Seite nähert, »ist ihr Neffe.«
Ich halte nach Jules Ausschau, die von jemandem in ein Gespräch verwickelt wurde, und signalisiere ihr, dass sie sich nicht zu beeilen braucht, da ich ihn so schnell nicht wieder hergeben möchte. Als Claire weggeht, nimmt Lola mich spontan in den Arm.
»Es ist so schön, dich zu sehen«, sagt sie. »Es tut mir leid, wenn …«
»Keine Sorge«, falle ich ihr ins Wort. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen müssen. »Ich finde es auch schön, dich zu sehen.« Ich bin überwältigt, aber die Ursachen dafür lassen sich kaum alle aufzählen: die Weihnachtsstimmung, der Anblick von William, so nah und doch so fern, die Spiegelwirkung von Sally – schockierend und schrecklich abwesend und doch so präsent. »Wir sollten wirklich bald mal wieder was zusammen
Weitere Kostenlose Bücher