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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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Gefühls nicht erwehren, dass alle Blicke auf uns gerichtet sind, obwohl es natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Kämpft er gegen die Erinnerung an den Tag an, als Sally an ihrem Hochzeitstag auf ihn zukam? Bestimmt sah sie glamourös aus in ihrem tief ausgeschnittenen Kleid, das hauteng ihre Taille betonte, die schmal zu halten ihr jedes Mittel recht war . »Man verbraucht beim Essen mehr Kalorien, als drin sind«, pflegte sie zu sagen, wenn sie theatralisch an einer Selleriestange knabberte und meinen Einwurf, sie sehe gefährlich mager aus, in den Wind schlug. Und jetzt bin ich hier und gehe neben William in einem billigen, zu grellen Kleid, das meine rundlichen Oberschenkel betont und das, wenigstens für meine Nase, noch immer ein wenig nach Erbrochenem riecht.
    Ich richte meinen Blick auf die vorderste Bankreihe und habe das Gefühl, in eine Falle zu laufen. Dort sitzt Sallys Mutter und ringt um Fassung, eine Handvoll Papiertaschentücher fest im Griff, ihr Sohn und ihr Ehemann dicht neben ihr. Williams Eltern stehen daneben, sein Vater stocksteif in seinem anthrazitfarbenen Nadelstreifenanzug, die Mutter mit der nervösen Energie eines exotischen Vogels, den man im Flug eingefangen hat. »Bist du okay?«, flüstere ich, obwohl mir sofort bewusst wird, was für eine dumme Frage das ist, auf die er unmöglich eine passende Antwort geben kann. Ich hoffe, er weiß, dass es eigentlich keine Frage ist, eher ein gutes Zureden. »Bisher scheint alles nach Plan zu laufen«, sagt er, ohne seinen Schritt zu ändern. Ich versuche ihn mit meiner Willenskraft dazu zu bewegen, mich anzusehen – mir ein winziges Zeichen zu geben, dass er im Geiste hier bei mir ist, dass wir einander in einem Paralleluniversum gegenüberstehen –, aber seine Schale ist undurchdringlich.
    Sobald wir vorne in der Kirche ankommen, kommt Madeline auf mich zugerannt. Sie trägt ein schönes weißes Spitzenkleid und hat ihr Haar ordentlich geflochten. Ein blondes kleines Mädchen folgt ihr.
    »Danke, dass du kommst«, sagt sie gebieterisch. »Ich möchte, dass du Francesca begrüßt. Sie ist jetzt meine beste Freundin.«
    Es ist Francescas Reaktion, die mich fast zusammenbrechen lässt: Sie kann ihr Entzücken nicht verbergen, ein breites Zahnlückenlächeln liegt auf ihrem pausbackigen kleinen Gesicht, und ihre Hand streckt sich unwillkürlich nach der von Madeline aus. Die Erinnerung, wie sich das anfühlt, ist plötzlich auf schmerzhafte Weise gegenwärtig – das Gefühl, eine andersartige Version einer Seelenverwandten zu finden, eine Person, die dich auf dich selbst zurückwirft und aufwertet. Natürlich konnte William mir nicht in die Augen schauen: Sallys Präsenz ist überwältigend. Ich blicke mich um nach ihrer Mutter, und als wir einander ansehen, füllen sich unsere Augen mit Tränen. Sie begrüßt mich mit einem so warmherzigen Blick, dass ich es kaum ertragen kann, weil ich vor lauter Scham- und Schuldgefühlen keine Luft bekomme.
    Madeline lässt es sich ein paar Minuten lang gefallen, von Francesca an der Hand gehalten zu werden, dann schüttelt sie diese gewaltsam ab.
    »Ich muss mich vorbereiten«, verkündet sie ernst und stellt sich dicht neben William, ohne zu bemerken, wie geknickt ihre Freundin ist. Ich schenke Francesca mein freundlichstes Lächeln, obwohl ich sie viel lieber auf den Schoß genommen und ihr mein Wissen über die Dinge, die sie noch lernen musste, weitergegeben hätte, doch stattdessen finde ich heraus, wo ihre Mutter sitzt, und sorge dafür, dass Madeline sich anständig von ihr verabschiedet, bevor ich sie dorthin begleite.
    »Wenn wir danach befreundet sind, werde ich getauft sein«, erzählt sie ihr stolz.
    Und jetzt ist es wirklich höchste Zeit. Derselbe ernste Geistliche, der auch die Trauerfeier geleitet hat, nimmt seinen Platz vor dem Altar ein und erinnert mit seinen Worten daran, aus welchem Anlass wir uns zuletzt hier getroffen haben. Ich behalte Madeline im Auge, weil ich sie um jeden Preis beschützen möchte, aber ihr Gesicht zeigt nur entschlossene Selbstbeherrschung. William ist gleichermaßen ausgeglichen und verfolgt mit ernster Miene aufmerksam die Zeremonie. Während des Gottesdienstes wandert mein Blick ein paar Mal zu ihm, doch seine Haltung bleibt unverändert nach vorn gerichtet, eine Hand auf Madelines Schulter, während sich die andere so fest an die Bank klammert, dass seine Knöchel weiß sind.
    Der Geistliche lässt uns nach vorne kommen, wobei Madeline in spürbarer

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