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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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ja?«
    Kai gehorchte glücklich. Tim und ich sahen uns unbeholfen an.
    »Du musst es nicht aufbauen, wenn du nicht willst. Ich kann es auch wieder mitnehmen, und …«
    »Nein, kein Problem, Kai freut sich bestimmt darüber«, unterbrach ich ihn. Und wieder schwiegen wir eine Weile.
    »Du hast dieses Mal den Rückblick geschrieben, oder?«, machte Tim schließlich einen kläglichen Versuch, etwas Smalltalk zu betreiben.
    Ich nickte. Komisch, dass es ihm aufgefallen war. Er hatte schon lange aufgehört, Zeitung zu lesen, da die Zeit morgens vor der Schule einfach zu knapp war.
    »Hannes … ähm, mein Chef wollte mal was Neues ausprobieren«, krächzte ich.
    »Er weiß eben, dass du gut bist.«
    Ich musterte Tim irritiert. Wieso redete er jetzt über meine Arbeit? Darüber hatten wir doch schon lange nicht mehr gesprochen.
    »Er war gut. Also, der Artikel. Witzig. Und gut«, stammelte Tim.
    »Danke.«
    Bevor es zu einer weiteren unangenehmen Pause kam, reichte Tim mir Kais Tasche und noch ein paar Spielsachen. Wir verabredeten, dass ich ihn am Nachmittag nach Tims Prüfungen zurückbringen würde, und wussten dann nicht, wie wir uns verabschieden sollten. Eine Umarmung schien uns beiden unangebracht, ein wie auch immer gearteter Kuss noch viel mehr. Also hob ich einfach nur meine Hand, wünschte ihm viel Erfolg und schloss die Tür. Dann atmete ich tief durch. Sarah hatte Kai also das Piratenschiff geschenkt.

Nicht seetauglich
    Kai ließ mir nicht einmal Zeit, mich umzuziehen. Das Piratenschiff hatte absolute Priorität. Und so war ich gezwungen, das Symbol meiner Niederlage noch vor dem Frühstück aufzubauen. Wie erwartet verlor Kai nach nicht einmal zehn Minuten das Interesse an den Bauarbeiten, die für einen Jungen in seinem Alter viel zu kompliziert waren und selbst für jemanden im meinem Alter eine ernsthafte Herausforderung darstellten. Als das Schiff als solches zu erkennen war, beschloss ich, die übrigen Bauteile wegzupacken und es Kai als fertig zu verkaufen. Früher oder später würde es sich bei ihm ohnehin wieder in seine Einzelteile auflösen. Außerdem hatte ich mir für die paar Tage mit Kai viel vorgenommen. Ich wollte mit ihm ins Freibad, in den Zoo, auf den Abenteuerspielplatz. Ich wollte mit ihm eine Fahrradtour in den Stadtwald machen und Tretboot fahren. Ich wollte an den Rhein und Sandburgen bauen. Ich wollte all das mit ihm unternehmen, was sonst einfach viel zu kurz kam. Dafür hatte ich extra mein Fahrrad auf Vordermann gebracht und für Kai einen nagelneuen Fahrradsitz gekauft, weil der alte logischerweise bei Tim geblieben war. Ich hatte sogar einen Menüplan für unsere Picknicks entworfen, weil Kai zurzeit einen sehr wählerischen Geschmack hatte. Nur mit einer Sache hatte ich nicht gerechnet. Dauerregen. Im Juli. Den ganzen Morgen goss es Bindfäden, und alle meine Pläne waren hinfällig. Man konnte noch nicht einmal den Fuß in den Garten setzen, ohne innerhalb von Sekunden durchnässt zu sein. Kai und ich waren gezwungen, uns die Zeit drinnen zu vertreiben. Und schon nach wenigen Stunden regierte die Langeweile. Wir hatten alle Spiele, die wir in Tinas Haus spielen konnten, in Rekordzeit durchgespielt. Selbst das improvisierte »Wir ärgern die Handwerker«-Spiel, bei dem Kai mit Vorliebe Werkzeuge am immer gleichen Ort versteckte, und die Kurzeinführung ins Instant-Beton-Anrühren, die ich lieber ohne Tinas Wissen veranstaltete, konnten Kai nicht lange aufmuntern. Als ich ihn für seinen Mittagsschlaf in mein Dachgeschosszimmer brachte, fing er an zu quengeln und wollte wissen, wann wir endlich wieder nach Hause konnten.
    »Gefällt es dir hier nicht?«, fragte ich zerknirscht.
    Kai schüttelte den Kopf. Natürlich nicht. Unser Zimmer war klein, winzig, er hatte keinen Platz zum Spielen und musste auf einer Matratze auf dem Fußboden schlafen, anstatt in seinem geliebten Hochbett.
    »Stell dir einfach vor, wir campen. So wie bei unserem Urlaub in Dänemark. Erinnerst du dich noch daran?«
    Kai nickte, aber ich hatte schon vor einiger Zeit herausgefunden, dass er auch nickte, wenn er sich nicht erinnerte. Wie sollte er auch? Er war gerade mal zwei gewesen. Selbst wenn er sich erinnerte, war es keine schöne Erinnerung, weil es auch da zwei Wochen nur geregnet und Kai mit einer heftigen Erkältung im Schlafsack gelegen hatte. Der Camping-Urlaub, unser letzter Familienurlaub, war ein totaler Reinfall gewesen, also machte die Erinnerung daran seinen Aufenthalt hier bei mir nicht

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