Seitenwechsel
unbedingt schöner.
»Ich will aber nach Hause«, nölte Kai weiter.
»Wir können aber noch nicht nach Hause, Kai.«
»Warum nicht?«
Es war wirklich schwer, ihm begreiflich zu machen, dass Tim und ich uns nun mal nicht mehr an einem Ort aufhalten konnten. Dass er entweder bei Papa oder bei Mama sein konnte, aber nicht mehr bei uns beiden zusammen. Manchmal war es für mich ja noch schwer zu verstehen, wie sollte ich es da erst einem Dreijährigen verständlich machen. Also suchte ich nach einer einfacheren Antwort.
»Weil Papa Ruhe zum Lernen braucht.«
»Und wenn wir ganz leise sind?«
Mir schossen die Tränen in die Augen. Um nicht loszuheulen, warf ich Kai spielerisch auf seine Matratze und startete eine Kitzelattacke. »Kannst du das denn? Kannst du denn still sein? Ich glaube nicht.« Ich kitzelte ihn so lange, bis er laut loslachte. Kai lachte immer noch, als ich ihn unter die Decke steckte.
»Jetzt schlaf erst mal, mein Schatz. Und wenn du wieder aufwachst, hat es bestimmt schon aufgehört zu regnen.«
Von wegen. Als hätten sich Petrus, der Wetterdienst und die Sarahs dieser Welt gegen mich verschworen, goss es drei Tage lang wie aus Kübeln. Meine Zeit mit Kai, auf die ich mich wochenlang gefreut hatte, fiel komplett ins Wasser. Kai langweilte sich zu Tode, und ich war nach drei Tagen als seine Animateurin fix und fertig. Der einzige Höhepunkt für ihn war der Stapellauf seines Piratenschiffs. Denn nachdem wir uns mit immer schlechterer Laune die Nasen an der Fensterscheibe platt gedrückt hatten, schlug ich vor, das Boot in einer riesigen Pfütze in Tinas Hof in See stechen zu lassen. Kai war sofort Feuer und Flamme. Aber wie erwartet entpuppte sich das Plastikschiff als nicht seetauglich und lief sofort auf Grund. Was wiederum mein Höhepunkt dieser verregneten Tage mit Kai war. Denn der warf Sarahs Boot anschließend beleidigt in die Ecke und würdigte es keines Blickes mehr.
Durch und durch durchschnittlich
Sie wirkten wie ein älteres Ehepaar, als ich sie im Seitenspiegel sah. Deswegen dauerte es auch eine Weile, bis ich Tim erkannte. Arm in Arm mit Sarah. Ich hatte wieder einmal im Parkverbot ein paar Meter von seiner Haustür entfernt geparkt. Ich hatte immer hier geparkt, wenn ich nur kurz zu Hause reinspringen musste, weil ich mir die mühsame Parkplatzsuche ersparen wollte. Aus Gewohnheit schaute ich in den Seitenspiegel, um nach Politessen Ausschau zu halten. Und da sah ich sie. Sie hatte sich auf diese altmodische Art bei ihm untergehakt, die ich eigentlich nur von alten Ehepaaren kannte. Sie war dick! Nein, nicht dick, aber pummelig. Falsch, sie war üppig, ja, üppig war vielleicht das richtige Wort, obwohl es sich zu sehr nach Aktmalerei aus irgendeinem früheren Jahrhundert anhörte. Nein, sie war vollschlank, auf neudeutsch. Kleiner als ich und vollschlank, auch wenn sie versuchte, ihre Pfunde mit einem luftigen Sommerrock und einer günstig geschnittenen Bluse zu kaschieren. Sie hatte kurze, aschblonde Haare und nicht die geringste Ähnlichkeit mit Catherine Deneuve oder Anna Netrebko. Im Gegenteil, sie war durch und durch durchschnittlich. Und das war eine absolute Frechheit. Tim hatte mich für eine kleinere, dickere, blondere, französisch sprechende Musiklehrerin verlassen?!
Ich war so sehr damit beschäftigt, in den Seitenspiegel zu schauen, dass ich gar nicht mitbekam, dass Kai seinen Gurt gelöst hatte und dabei war, auszusteigen.
»Halt!«, rief ich so laut, als Kai die Tür aufmachen wollte, dass er mich mit großen ängstlichen Augen anstarrte. Er tat mir leid, aber ich wollte Tim auf gar keinen Fall mit seiner Sarah im Arm begegnen.
»Warte, Kai. Ich habe ein neues Spiel. Wir dürfen erst aussteigen, wenn drei blaue Autos an uns vorbeigefahren sind, okay?«
Kai nickte brav und schaute gespannt auf die Straße. Zum Glück konnte er seinen Vater so nicht sehen, und mir blieb die peinliche Konfrontation mit meiner Nachfolgerin erspart.
Es dauerte lange, bis das dritte blaue Auto an uns vorbeigefahren war. So hatte Tim auf jeden Fall genug Zeit gehabt, mit seiner Sarah im Haus zu verschwinden, bevor Kai und ich endlich aussteigen durften. Kai konnte bei solchen Spielregeln sehr genau sein.
Als ich bei meiner alten Wohnung klingelte, merkte ich erst, wie sehr mein Puls nach dieser ersten Begegnung mit Tims Neuer immer noch raste. Es machte eben doch einen Unterschied, ob man nur ihren Namen aus Tims Mund hörte oder sie plötzlich wahrhaftig vor sich sah. Bisher
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