Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
»Was machst du dann hier, verdammt noch mal? Wer kontrolliert die Teller?«
»Michelle, ich habe sie nur dazu abgestellt, damit ich dich holen kommen konnte …«
»Du hättest dort bleiben sollen, ich wäre in ein paar Minuten ohnehin zurückgekommen.« Er ist jetzt auf den Beinen und drückt seine Kippe aus.
»Woher sollte ich das wissen? Die Küche geht auf dem Zahnfleisch wegen diesem à la carte-Mist. Warum lädst du auch eine Gruppe von Mädchen, die seit der Grundschule keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen haben, zu einem 3-Gänge-Menü ein?« Zu unverschämt. Vielleicht zerbreche ich mir über ihn und Lydia doch mehr den Kopf, als ich dachte.
»Willst du damit sagen, dass meine Tochter magersüchtig ist?«
»Nein, ich …«
»Gut, denn du weißt überhaupt nichts über sie«, sagt er und sticht mit seinem Finger in meine Richtung. Da habe ich eindeutig einen wunden Punkt getroffen.
»Das habe ich doch gar nicht behauptet …«
Genauso gut könnte ich mit einem Zackenbarsch reden. Oscar ist bereits durch die Tür und schon fast in der Küche. Er übernimmt die Endkontrolle, und dagegen hören sich meine Kommentare an wie das Protokoll eines Vereins zur Förderung der Frauenrechte. Während die Teller einer nach dem anderen rausgehen, scheint der Partylärm auf ein Crescendo zuzusteuern. Ich beobachte Oscar und frage mich, wie lange es noch dauert, bis er einschreitet. Endlich hat er genug, er schreitet nach draußen und steuert auf direktem Weg seinen kreischenden Sprössling an. Fast hätte die Tür mir den Schädel eingeschlagen, als sie wieder aufgeht und Oscar mit seiner Tochter im Schlepptau hereinkommt.
»Sei bitte nicht sauer, Daddy. Alle haben so viel Spaß, das ist alles.«
»Aber ihr dürft ihn den anderen Gästen nicht verderben, nach dem Motto: Gott sei Dank, es ist Freitag!«
»Ich weiß!«
»Ich reiße mir hier den Arsch auf, damit es läuft. Das weißt du doch wohl, oder? Du kriegst nämlich keine schicken Fummel mehr, wenn wir hiermit baden gehen.«
»Tut mir leid, Daddy«, murmelt sie.
»Das ist nämlich durchaus möglich, weißt du.« Ich habe sogar ein klein wenig Mitleid mit ihr. Sie sind laut, das steht außer Frage, aber muss er sie mit seiner Sorge wegen der prekären Finanzen belasten?
»Dann geh jetzt wieder«, sagt Oscar, ein wenig freundlicher.
»Willst du nicht auf einen Drink mit rauskommen?«
»Ich werde es versuchen«, sagt er unverbindlich.
»Okay«, sagt sie und zieht bockig einen Flunsch. Vermutlich rollt sie sogar ihre Pandaaugen, aber Oscar hat sich bereits abgewandt.
Der Service geht zügig voran, und jedes Gericht wird unter die Lupe genommen. Großtante Phyllis und ihr Gefährte schicken ihre Vorspeisenteller sauber zurück, aber sosehr Johnny sich auch bemüht, sie zu belauschen, es gelingt ihm nicht, sie zu identifizieren. Der Partylärm hält in leicht abgeschwächter Form an, doch Oscar ignoriert ihn und konzentriert sich ganz auf Phyllis’ Hauptgerichte. Den ersten Teller mit Rindfleisch lässt er zurückgehen und überwacht persönlich den Steinbutt, bevor er mir beide Gerichte hinschiebt, als sie fertig sind.
»Ich denke, sie sind perfekt«, sagt er zufrieden.
»Ja, sind sie«, bestätige ich.
»Warum bist du dann so schlecht gelaunt?«
»Bin ich nicht! Ich denke nur, dass sie ihre Mahlzeit sicherlich gern in aller Ruhe einnehmen möchten, aber was immer deine Tochter dir auch versprochen hat, sie schreien einander noch immer an.«
Oscar sieht mich mit tödlichem Blick an, doch auch er kann nicht leugnen, dass ich die Wahrheit sage. »Schön, dann geh du raus und bitte sie, leiser zu sein.«
»Ich?!«
»Ja, du. Oder such Lydia, dann soll sie das tun. Ich werde meinen Platz hier nicht verlassen.«
Ich starre ihn sprachlos an. Was geht hier eigentlich vor sich? Ist das eine natürliche Reaktion auf die Gefahr, dass möglicherweise Kritiker im Lokal sind, oder macht ihm die Aussicht, mal tatsächlich sein Kind erziehen zu müssen, schreckliche Angst? Mir ist nicht wohl dabei, vor Lydia die Supernanny zu spielen, aber Johnny ist mit der Duttfrau so sehr ins Gespräch vertieft, dass ich den schwarzen Peter nicht weiterreichen kann. Ich wäge die Chancen ab. Es spricht einiges dafür, sich die Sechzehnjährige vorzuknöpfen, anstatt Cruella De Vil einzuspannen (zumal dann, wenn man mit Mr De Vil schäkert). Ich gehe auf den Tisch zu, finde jedoch Tallulahs Platz leer.
»Hi«, sage ich laut, ohne die geringste Reaktion zu erzielen.
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