Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
»Äh, Entschuldigung, ich suche Tallulah.«
Ein Junge, der so hübsch ist, dass man weiche Knie bekommen könnte, richtet die Augen auf mich, wobei mir seine langen Wimpern auffallen. »Ich glaube, sie ist auf dem Lokus«, sagt er und ruiniert damit schlagartig seine Wirkung.
Ich gehe über die geschwungene Treppe nach unten und bewundere die kleinen Lämpchen, die in jede Treppenstufe eingebaut sind. Über die Unkosten, die hier anfallen, sollte man lieber nicht nachdenken, sonst würde einem angst und bange. Ich betrete die Toilette, nur eine ist besetzt. Soll ich warten oder an die Tür klopfen? Auch sie sollte in Frieden pinkeln dürfen, aber wenn ich mir keine Standpauke einhandeln will, muss ich schnellstmöglich zurück. Durch die Tür dringt gut vernehmbar ein Schniefen. Ach herrje, heult sie etwa? Ich glaube nicht, dass ich Beratungsaufgaben gewachsen wäre. Vielleicht sollte ich lieber wieder umkehren. Auf das Schniefen folgt kurz darauf Gekicher, ein dumpfes Geräusch, und dann die unmissverständliche Stimme von Matt Nutkins. »Bei einem Mann meines Alters wirst du nicht oft derart gut ausgebildete Muskeln finden«, sagt er.
Mir läuft es vor Angst kalt den Rücken hinunter, als ich mir Oscars Reaktion auf diese reizende Skizze ausmale. »Matt, hier ist Amber. Kommen Sie da raus. Wenn Oscar dahinterkommt …«
»Scheiße, Scheiße«, sagt er.
Nach hektischem Geraschel wird eilends die Tür geöffnet. Ich hätte schwören können, dass sie Drogen genommen haben, allerdings bräuchte ich sämtliche Finger und Zehen, um die Restaurants aufzuzählen, in denen der Barkeeper sich schwarz noch was als Doktor Feelgood dazuverdient hat. Aber dessen ungeachtet frage ich mich schon, wie er nur so dumm sein kann, sich gemeinsam mit der Tochter des Chefs anzuturnen.
Matt zischt sofort ab und sieht mich dabei mit einem Lächeln an, das eher einer Grimasse gleicht. Ich erdolche ihn mit meinen Blicken, entschlossen, ihn mir später vorzuknöpfen. Tallulah streicht ihr Kleid glatt und schüttelt ihr Haar. Es gelingt ihr ganz gut, einen unbeteiligten Eindruck zu erwecken, doch als sie trotzig ihren Lippenstift zückt, verraten sie ihre zittrigen Hände.
»Dein Dad hat mich geschickt, dich zu suchen«, sage ich. »Was bildest du dir eigentlich ein?«
Sie dreht sich um, klare Augen, umrandet von verwischtem Kajal. »Ich weiß Ihre Besorgnis zu schätzen, wirklich, aber lassen Sie mich in Ruhe. Ich kann mich selbst behaupten, egal was Dad denkt. Und sollten Sie auf die Idee kommen, ich weiß nicht, ihm vielleicht einen Tipp zu geben, werde ich ihm sagen, dass Sie völlig verdreht sind. Sie sind auch nur eine Köchin und wahrscheinlich in ein paar Wochen schon wieder weg, er wird Ihnen nicht glauben wollen. Und ich wette, dass Sie diesen Job brauchen, jedenfalls sehen Sie so aus.«
»Was soll das denn heißen?«, platzt es aus mir heraus, bevor ich mir etwas Reiferes und Maßvolleres überlegen kann.
»Nichts«, sagt sie und verstaut ihren Lippenstift. »Regen Sie ihn nicht auf, ja? Das kann er nun wirklich nicht brauchen. Und ich verspreche Ihnen, dass er Sie dafür hassen wird.« Sie stemmt die schwere Tür auf.
»Überlass das mir«, rufe ich ihr hinterher, weil ich mich weigere, dieser abfälligen kleinen Kuh das letzte Wort zu lassen. Doch sie gibt sich nicht die Mühe, darauf zu reagieren, und ich hänge über dem Waschbecken und atme ein paar Mal tief durch. Was soll ich tun? Für Entscheidungen ist keine Zeit, ich bin schon fünfzehn Minuten weg gewesen. Ich eile nach oben und greife mir Johnny auf dem Weg zur Küche.
»Wo brennt’s denn?«
»Überall. Halten Sie Matt unter Verschluss, und bringen Sie bitte Lydia dazu, dass sie die Meute zu mehr Ruhe ermahnt.«
»Ich werde mein Bestes tun. Phyllis heißt übrigens Dorothy. Sie ist reizend. Sollte sie Kritikerin sein, dann ist es die netteste, die sie haben.«
»Perfekter Doppelbluff«, sage ich und stürme durch die Tür.
Oscar erzählt Jean-Paul mit breitem Grinsen Klopf-klopf-Witze. Tut er natürlich nicht. Er steht mit finsterer Miene vor einer Rehkeule, die ihm die arme Michelle präsentiert hat.
»Geht so«, brummt er und richtet seine Aufmerksamkeit auf Stus nächsten Fisch.
»Da sind Sie ja wieder«, sagt er, als er mich entdeckt. »Hätte fast schon einen Rettungstrupp losgeschickt.«
Hätte er das doch bloß getan.
»Hab aber was erreicht«, werfe ich ein, erleichtert, weil das Gebrüll nachgelassen hat.
»Ja, aber ich weiß nicht, warum
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