Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
Paralleluniversum betreten. Er küsst mich, als wäre ich sein Lebensretter, während er zugleich versucht, mir die Kleider vom Leib zu ziehen.
»Langsam«, sage ich und ziehe seine Hand von meinem Ausschnitt. Gäbe er sich gleichgültig, könnte ich das auch nicht ertragen, aber das hier war nicht weniger kompliziert.
»Ich kann dich nicht ansehen, ohne dich vögeln zu wollen«, murmelt er, was in mir eine Mischung aus drei Viertel Lust und ein Viertel Angst auslöst. Ich muss auf mich achten.
»Dadurch könnte die Arbeit in der Küche zu einer echten Herausforderung werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in meinem Vertrag eine Nacktheitsklausel gibt.«
»Ja, die habe ich extra hineingeschrieben«, sagt er und lässt die Hand nach unten gleiten.
Ich weiche ihm aus, weil ich wenigstens noch ein bisschen Macht behalten möchte. Mag er auch die Regeln festlegen, so kann ich doch Schiedsrichter sein. »Willst du wirklich mit mir über die Spezialitäten sprechen?«
Er wirft mir einen mürrischen Blick zu, doch er ist nicht böse gemeint. »Ja, dann komm schon. Sieh dir an, was ich mir für die nächste Woche überlegt habe.« Er fährt seinen Laptop hoch. »Ich werde mich nicht von Angus, diesem Arschwischer, fertigmachen lassen. Wenn diese Sachverständigen kommen, werden wir bereit sein für sie.«
»Es ist doch auch nur eine Kritik …«
»Ich will darüber nicht reden«, sagt er entschlossen. »Lies, wenn du willst.«
Und ich vertiefe mich in die Gerichte, die er kreiert hat, staune wie immer über die Beilagen, die ihm dazu einfallen. Ich wage, ein paar Vorschläge zu machen, von denen er einige mit einem Schnauben verwirft, manche jedoch auch widerwillig in Betracht zieht. Wir sind erst beim Donnerstag angekommen, da fällt mir auf, dass ich bereits eine Stunde Zeit vergeudet habe. Nun, nicht vergeudet, aber …
»Mist, ich bin wirklich tot, aber ich muss los. Ich werde um halb acht in Ealing erwartet.«
»Das schaffst du schon, nimm dir einfach ein Taxi. Es ist jede Menge Zeit.«
Er kapiert es einfach nicht. Ich muss einen Notfallboxenstopp machen, um meine schmuddelige Unterwäsche zu wechseln, bevor ich ins tiefste Vorortsgebiet aufbreche. Und die Chance, dass ich mir für eine so weite Fahrt ein Taxi leisten kann, ist so groß wie die, mir einfach so eine Rakete für eine Spritztour zum Mars zu mieten. Ich könnte auch mit dem Motorrad fahren, allerdings widerstrebt mir die Aussicht, speziell diesen Abend stocknüchtern zu verbringen.
»Ja«, sage ich und küsse ihn ein letztes Mal. »Wir sehen uns dann morgen.«
Ich stürme zur Tür hinein, entschlossen, meinen Höschenwechsel in Sekundenschnelle durchzuziehen. Sämtliche Verschönerungsbestrebungen habe ich bereits in den Wind geschlagen – ein Hauch Mascara, eine Dröhnung Trockenshampoo, dann ab durch die Tür. Stattdessen falle ich fast kopfüber hin, weil mein Knöchel sich in einer riesigen Tüte von Selfridges verfängt. Es ist die erste von vielen, die sich wie eine knallige Prozession durch den Flur ziehen. Das verspricht nichts Gutes.
»Milly?«
Ich habe ihr heute Morgen eine SMS geschrieben, damit sie nicht glaubt, ich läge tot in einem Graben, und bekam dafür ein tapferes Okay x zurück. Ich fand den Mangel an Neugier zwar besorgniserregend, hatte aber meinen Kopf viel zu voll, um mich darauf einzulassen.
»Hi«, begrüßt sie mich leise. Sie hat sich auf dem Sofa zusammengerollt und trägt eine graue Strickjacke mit einem großen Preisschild. Ich werde nicht verraten, was auf dem Preisschild draufsteht, denn dann bekämen Sie einen Schreck, doch sie hat im Grunde genommen die Hälfte meines Wochensalärs für ein Stück Schuluniform ausgegeben (immerhin Kaschmir, das versichere ich Ihnen).
»Alles okay mit dir?«, frage ich überflüssigerweise. Das ist der Grundwiderspruch, der Milly ausmacht. Sie ist himmelhochjauchzend und gleich darauf zu Tode betrübt. Und wenn das der Fall ist, richtet man sie nicht so leicht wieder auf.
»Ja, nein, mir geht’s gut.«
Wäre ich eine wirklich gute Schwester, nähme ich sie beim Wort, würde mich aufbrezeln und die Tür hinter mir zuwerfen, aber dann wäre ich eine wirklich schlechte Freundin. Ich setze mich auf die Sofalehne und nehme ihre Hand. Sie weicht meinem Blick aus.
»Nein, das stimmt nicht. Nun sag schon.«
»Du bist in Eile.« Genau in diesem Moment piept, wie um dies zu betonen, wütend mein Telefon. »Und außerdem ist gar nichts Besonderes, nur
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