Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
Merkel«, sagt er, und mir bleibt der Mund offen stehen. Selbst für Bryan ist das eine sehr mutige Wahl, wenn man seinen kräftigen Bartwuchs und seinen stämmigen, muskulösen Körper berücksichtigt. Daher ist es für ihn einfacher, wenn ein eindeutiges Kostüm die Arbeit der Verwandlung erledigt, und ich habe meine Zweifel, ob sich das mit ein paar Strähnchen und einem Hosenanzug umsetzen lässt.
»Du solltest vorbeikommen«, sagt Robin unbeeindruckt.
»Klingt gut«, sage ich und tue mir gleich viel weniger leid. Es ist doch sicherlich besser, eine Geschiedene als die Tarnung für einen schwulen Mann zu sein? Ich wende mich geschickt wieder James und Laura zu in der Hoffnung, eine Gesprächspause zu finden, an der ich andocken kann, stelle aber fest, dass gar kein richtiges Gespräch stattfindet. Sie schieben beide schweigend die Krabben auf ihrem Teller herum. Mag sein, dass es ein intensives, lustvolles Schweigen ist, doch es fühlt sich nicht danach an. Außerdem trägt James einen Pullunder.
»Jetzt sag schon, was ist dran an Oscar Retford?«, erkundigt Laura sich neugierig.
»Was ist dran an ihm …« Eine selbstsüchtige Sekunde lang wünsche ich mir, Laura wäre noch Single, und wir könnten uns betrinken und uns miteinander verschwören, aber das kann nicht sein. »Er ist brillant.«
»Nun komm schon, das kannst du besser«, lockt sie mich, denn Lauras journalistisches Gespür ist viel zu gut entwickelt, als sich einfach abspeisen zu lassen.
Ich erzähle ihnen, wie er aus Zutaten, die einem abartig vorkommen, Gerichte zaubert, bei denen einem das Wasser im Mund zusammenläuft (unsere Augen richten sich dabei unmerklich auf den Krabbenglibber, der auf unseren Tellern liegt), wie spektakulär das Restaurant ist, und dass die Kritiker langsam Notiz davon nehmen.
»Aber wie ist er ?«, will Laura wissen. »Magst du ihn?«
Ohne es verhindern zu können, werde ich rot. »Er kann ein ziemlicher Arsch sein. Er brüllt herum und kennt keine Kompromisse. Aber ja, ich mag ihn. Ihn kochen zu sehen ist unvergleichlich, er ist ein richtiges Genie. Und er hat ein unglaubliches Charisma.«
Laura lächelt mich an, und da weiß ich, dass sie es weiß. Wie gesagt, sie ist klug. Und dazu kommt mein rotes Gesicht und dass ich grinse wie ein Honigkuchenpferd.
»Dann scheint das Klischee also zuzutreffen?«, meint James. »Diese Promiköche und ihre Tobsuchtsanfälle. Sie hätten es doch vermutlich genauso weit gebracht, wenn sie sich anständig benehmen würden, oder?«
Ich schlucke meinen Ärger hinunter. Soll er doch mal eine Samstagabendschicht in der Küche machen, wenn viel Betrieb ist, dann wird er betteln, an den Gazastreifen zurückkehren zu dürfen.
»Das Umfeld ist einfach rau und hart«, sage ich monoton.
»Gar keine Frage«, erwidert James und isst brav seine Vorspeise auf, ehe Beth kommt, um die Teller abzuräumen. Ich baue aus meiner Zwillingsgipfel in der Hoffnung, dass es dann so aussieht, als hätte ich mehr als drei kleine Häppchen davon gegessen. Die Pause zwischen den Gängen nutze ich, um zu sehen, wie es Milly geht, die jetzt allerdings nicht mehr ganz so putzmunter wie vorhin wirkt.
»Hi, Anthony!«, sage ich fröhlich und ziehe mir einen Stuhl heran. »Wie geht’s?«
»Kann nicht klagen«, sagt er glatt, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Das Schweigen hält eine Minute lang an, bis Milly einspringt. »Anthony hat mir erzählt, was für fantastische Sachen er mit Knochen macht!«
»Was denn?«, frage ich.
»Das Übliche. Zusammenflicken. Gelegentlich muss ich sie sogar noch mal brechen, damit sie sich besser miteinander verbinden. Das schien deine Freundin sehr zu faszinieren.«
Sollte ich am Ende mit ihm ein Taxi teilen müssen, werde ich versucht sein, ihn rauszuwerfen und danach seine Knochen so schlecht wie möglich wieder zusammenzusetzen.
»Ich weiß nicht, wie du das machst«, sagt Milly. »Ich bin so zartbesaitet, dass ich schon weine, wenn ich mich am Papier geschnitten habe.«
Das entlockt auch Anthony ein Lächeln vor Freude, endlich jemanden gefunden zu haben, der eine Zeitreise aus einer Dekade gemacht hat, die vom Feminismus vergessen wurde. Sie meint es nicht so, das weiß ich, aber ihre Fähigkeit, ihre Persönlichkeit immer genau der Form anzupassen, die irgendein Mann haben will, verstört mich zutiefst.
»Ich könnte mal vorbeikommen und mit dir ein paar Oberschenkelknochen brechen«, sage ich selbstsicher. »Gestern habe ich eine ganze Karnickelbrut
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