Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
sie jedes Mal aufs Neue beängstigend. Sie streckt mir ihre Hand wie eine Waffe entgegen und nimmt meine mit schraubstockartigem Griff. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
»Es ist genau ein Jahr her«, sage ich und ringe mir ein Lächeln ab, weil ich natürlich wieder daran erinnert werde, wie viel sich in zwölf Monaten ändern kann. Robins glänzende Knopfaugen wandern nun zu Milly, meiner testikellosen Begleitung, und ich sehe ihr an, dass sie dasselbe denkt. Beth wird es ihr sicherlich erzählt haben, und jetzt überlegt sie, ob sie das Thema anschneiden soll. Ich komme ihr lieber zuvor. »Du weißt ja vermutlich, dass Dom und ich geschieden sind«, sage ich, und meine Stimme dröhnt wie ein Nebelhorn in meinem unbeholfenen Versuch, fröhlich zu sein.
Robin kämpft mit der adäquaten Antwort, ihre klebrigen roten Lippen ziehen unbehaglich eine Schnute. »Das ist echt scheiße«, sagt sie. »Tut mir leid.«
»Ja, es ist beschissen«, erwidere ich zimperlich. Dann suche ich hektisch nach einem anderen Gesprächsthema, aber mein Gehirn ist eingefroren.
»Was ist passiert?«
Sie will mich doch nicht allen Ernstes auffordern, ihr zwischen den einzelnen Gängen eine fröhliche Analyse des Zerfalls zu geben?
Offenbar vermittelt das auch mein Gesichtsausdruck, denn sie macht einen Rückzieher und sucht Schutz hinter ihrem Ehemann. »Dumme Frage, tut mir leid.«
»Nicht doch, keine Sorge!«, sage ich und grabe das Loch nur noch tiefer für uns beide. Seit wann bin ich denn zur sozialen Belastung geworden?
Glücklicherweise sorgt das Eintreffen von James für Ablenkung. Meine Freude, ihn zu sehen, ist vermutlich noch übertriebener als meine Begrüßung von Laura. Sie wird langsam denken, ich sei auf sie fixiert. Er ist durch und durch Engländer, groß, mit sandfarbenem Haar und tadellosen Manieren. Er legt sofort mit ein paar höflich interessierten Fragen nach meiner Arbeit los. Beth beobachtet ihn heimlich aus den Augenwinkeln, und ihre Erleichterung ist greifbar. Ich könnte wetten, dass ihre Familie wegen Lauras nicht enden wollendem Singledasein beunruhigt war. Da ich ihre Mutter kenne, sind vermutlich die Erfolge im Beruf zur Bedeutungslosigkeit verblasst. Nun kann ich nur hoffen, dass ich nicht zur ledigen Tante du jour werde, um diese Lücke zu füllen. Obwohl ich weiß, dass es nicht zählt, werfe ich doch einen heimlichen Blick auf mein Telefon und bin außer mir, eine weitere Textnachricht meines aktuellen Mannes zu finden. Das ist zwar keine Lösung, aber für heute ist es Paracetamol.
Leider kam ich nicht rechtzeitig zur Rettung der Vorspeise, einer sonderbaren Krabbenmousse mit Petersilienhaube. Beth reicht sie herum, und wir stochern alle forschend mit unserer Gabel darin herum und versuchen die angemessenen Laute von uns zu geben. Ich schiebe sie auf meinem Teller hin und her und wende mich widerwillig Bryan zu, damit James und Laura nicht denken, ich wollte Weiblich, ledig, jung sucht … in die Praxis umsetzen.
»Wie geht es?«, frage ich ihn und könnte schwören, dass er aus seiner Papierserviette einen Schwan formt. »Du hast auch bald Geburtstag, nicht wahr?«
»Ja«, antwortet Robin für ihn und beugt sich über den Tisch. »Ich richte eine Party für ihn aus.«
»Kostümparty?«, frage ich im selben Moment, als Bryan eifrig »Kostümparty!« ruft.
Der arme Bryan, über nichts freut er sich mehr im Leben als über eine Entschuldigung, sich verkleiden zu können, allerdings sind die Möglichkeiten, die sich für einen Heteromann ergeben, dünn gesät. Auf der Universität konnte er wenigstens regelmäßig in Musicals oder einer Farce auftreten, aber jetzt muss er wirklich hart arbeiten, um sich dafür einen Grund auszudenken. Doch an Erfindungsgeist mangelt es diesem Mann nicht. Die Party zum dritten Geburtstag ihrer gemeinsamen Tochter bot ihm die ideale Gelegenheit, ein Mary-Poppins-Kostüm anzuprobieren, und als er sie beim letzten Halloween bei ihrer Süßes-oder-Saures-Runde begleitete, verkleidete er sich als Carrie, komplett mit blonder Perücke, ausladendem weißen Nachthemd und überaus realistischen Blutspritzern.
»Als was gehst du denn?«, frage ich müde.
»Das Motto der Party ist ›Führungspersönlichkeiten der Welt‹«, klärt er mich auf. Er ist Staatsdiener, weshalb eine gewisse Logik darin zu sehen ist.
»Bill Clinton?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, dass er sich eine derart gute Gelegenheit niemals entgehen ließe. »David Cameron?«
»Angela
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