Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
du so hirnlos bist, das zu glauben.«
»Hirnlos?!«, sage ich, als der Gong ertönt. »Wag es nicht, mich hirnlos zu nennen.«
»Gut, aber lauf du auch nicht herum und beschuldige mich, ein Weiberheld zu sein, und das, obwohl ich dich wie eine Prinzessin behandele.«
»Ich habe dich nicht beschuldigt, ich habe dich gefragt …«
Ein Platzanweiser kommt in diesem unpassenden Moment auf uns zugehuscht. »Sir, Madam, darf ich Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Die Vorstellung wird in weniger als zwei Minuten fortgesetzt.«
»Ja, danke, hab’s verstanden«, blafft Oscar ihn an, packt mich am Ellbogen und steuert mich dem Eingang zu. So viel also zu einem theatralischen Abgang meinerseits, hätte ich den Ausgang angepeilt, hätte er mich vermutlich wie ein Rugbyspieler zu Boden gerungen.
»Nun sei doch nicht so grob, er ist keine Küchenhilfe«, fauche ich.
»Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt«, schnauzt er zurück.
Es ist mir fast unmöglich, mich auf den nächsten Akt zu konzentrieren. Doch um wieder abzutauchen wie vorhin, bin ich viel zu wütend. Protestiert er deshalb so heftig, weil er sein schlechtes Gewissen mit Bluff und Gepolter zu tarnen versucht? Und selbst wenn er ein reines Gewissen haben sollte, spricht seine Unfähigkeit zur Empathie nicht gerade für ihn. Ich rücke so weit wie möglich von ihm ab, da er sich allerdings hartnäckig weigert, mich anzusehen, bleibt die Wirkung aus.
Nach und nach schafft es die Musik, wieder zu mir vorzudringen. Und das fast gegen meinen Willen, aber die Schönheit ist zu verführerisch, um sich ihr entziehen zu können. Rodolfo stößt Mimi von sich und lässt sie mit gebrochenem Herzen allein. Erst als sie ihm nachschleicht und ein Gespräch mit seinem besten Freund belauscht, entdeckt sie, dass er dies nicht aus mangelnder Liebe getan hat, sondern weil er glaubt, der an Schwindsucht leidenden Mimi wegen seiner Armut keine Hilfe sein zu können (lächerlich, ich weiß, aber vertrauen Sie mir, auf Italienisch funktioniert das). Schließlich kann ich doch nicht anders und werfe einen verstohlenen Blick auf Oscar, da ich die Schönheit dieses Erlebnisses mit jemandem teilen möchte. Eigentlich rechne ich damit, ihn so steif und unnahbar dasitzen zu sehen wie zuvor, doch der Oscar, der neben mir sitzt, ist ein ganz Anderer. Er ist völlig versunken und starrt die kranke Mimi gebannt an, Tränen rinnen über seine verhärteten Wangen. Er spürt meinen auf ihm ruhenden Blick und lächelt verlegen, dann umfasst er mit kräftigem Druck meine Hand. Die Wärme seiner rauen Haut breitet sich sofort in meinem Körper aus und lässt meine Wut dahinschmelzen wie Butter.
Männer, die weinen, habe ich immer ein wenig tuntig gefunden, aber seine Tränen stoßen mich nicht ab. Ganz im Gegenteil, mir geht dabei das Herz auf, und ich werde milde gestimmt, wie das sonst nur Jean-Pauls raffinierteste Zuckerkreationen schaffen. Er streicht mit der Hand über meine Schulter und zieht mich an sich, und obwohl es unbequem ist, verweile ich dort so dicht ich kann, bis der Vorhang fällt.
»Danke«, flüstere ich beim Klatschen, und er küsst mich auf die Lippen.
Was hat ihn nur so zu Tränen gerührt? Ist es der Bruch seiner eigenen Ehe, die Tragödie, dass Liebe nicht immer genug ist? Darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Ich drücke seine Hand und hole ihn zurück in die Gegenwart und die Tatsache, dass wir als Letzte unserer Reihe noch übrig sind.
»Nun komm«, sagt er und zerrt mich hoch, als hätte ich gebummelt.
Draußen auf dem Gehweg fühle ich mich plötzlich wieder unwohl.
»Könnte ich dich eventuell dazu überreden, mich nach Hause zu begleiten?«, sagt Oscar geziert. »Sei versichert, dass ich allerhöchsten Respekt vor deiner Jungfräulichkeit habe.«
»Schweig«, erwidere ich kichernd. »Soll ich ein Taxi rufen?«
»Nein«, sagt Oscar und zieht meinen ausgestreckten Arm nach unten und nimmt mich knutschend in seine Arme. »Lass uns einen Umweg machen.«
Wir queren Covent Garden, wobei ich Mühe habe, mit seinem entschlossenen Schritt mitzuhalten, bahnen uns dann einen Weg über die vier Fahrspuren der Strand und erreichen dann den Fluss. »Sieh es dir an«, sagt er. »Sieh es dir einfach an.«
Und ich lasse die Silhouette mit ihren Spitzen und Furchen und glitzernden Lichtern der Gebäude auf mich wirken und weiß die Schönheit Londons plötzlich zu schätzen. Ich habe so selten Zeit, sie in mich aufzunehmen, überhaupt alles in mich
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