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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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mir und vor Gericht stets betont, sie hätten zwei aussichtsreiche Forschungswege nicht gleichzeitig verfolgen können. Sie hätten den einen nur zurückgestellt, um ihn später wiederaufzugreifen. Das Ganze habe unter strenger Geheimhaltung gestanden, und ihre Entdeckung sei auch so aufregend gewesen, daß sie mit der Eifersucht des Wissenschaftlers darüber gewacht hätten. Nur deswegen das Versteck im Schreibtisch. Damit wären sie vielleicht durchgekommen, aber Weinstein bekundete ein Gespräch zwischen Dohmke und Tyberg, in dem beide einig waren, die Entdeckung zu unterdrücken, um ein rasches Ende des Krieges auch um den Preis der deutschen Niederlage herbeizuführen. Und nun hatte es ein solches Gespräch gar nicht gegeben.
    Die Sabotagegeschichte hatte damals große Empörung hervorgerufen. Der zweite Anklagepunkt der Rassenschande hatte mich schon damals nicht überzeugt; meine Ermittlungen hatten keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß Tyberg mit einer jüdischen Zwangsarbeiterin verkehrt habe. Man hatte ihn auch deswegen zum Tode verurteilt. Ich überlegte, wer von der SS und wer von der Wirtschaft damals das Komplott eingefädelt haben konnte.
    Auf der Golden Gate Bridge floß stetig der Verkehr. Wo wollten die Leute alle hin? Ich fuhr zur Auffahrt, parkte mein Auto unter dem Denkmal des Erbauers und lief bis in die Mitte der Brücke. Ich war der einzige Fußgänger. Ich sah hinunter auf den metallisch schimmernden Pazifik. Hinter mir rauschten die Straßenkreuzer in gefühlloser Gleichmäßigkeit. Ein kalter Wind pfiff durch die Halteseile. Mich fror.
    Mit Mühe fand ich mein Hotel wieder. Es wurde schnell dunkel. Ich fragte den Portier, wo ich eine Flasche Sambuca kriegen könne. Er schickte mich zu einem Liquor Store zwei Straßen weiter. Vergebens schritt ich die Regale ab. Der Inhaber des Ladens bedauerte, Sambuca habe er nicht, aber was Ähnliches, ob ich nicht Southern Comfort probieren wolle. Er packte mir die Flasche in eine braune Packpapiertüte, die er oben zusammenzwirbelte. Auf dem Weg zurück zum Hotel kaufte ich mir einen Hamburger. Mit meinem Trenchcoat, der braunen Tüte in der einen und dem Hamburger in der anderen Hand fühlte ich mich wie ein Komparse in einem zweitklassigen amerikanischen Kriminalfilm.
    Im Hotelzimmer legte ich mich aufs Bett und schaltete den Fernsehapparat ein. Mein Zahnputzbecher war in eine frische Zellophantüte verpackt, ich riß sie ab und schenkte mir ein. Southern Comfort hat mit Sambuca aber auch gar nichts zu tun. Trotzdem schmeckte er angenehm und rollte ganz selbstverständlich durch meine Kehle. Auch das Footballspiel im Fernsehen hatte mit unserem Fußball rein nichts zu tun. Aber ich verstand das Prinzip und folgte dem Spiel mit zunehmender Spannung.
    Nach einer Weile klatschte ich, wenn meine Mannschaft den Ball ein gutes Stück vorangebracht hatte. Dann kriegte ich Spaß an den Werbesendungen, die das Spiel unterbrachen. Schließlich muß ich gejohlt haben, als meine Mannschaft gewann, denn es klopfte an die Wand. Ich versuchte, aufzustehen und zurückzuschlagen, aber das Bett kippte immer auf der Seite hoch, auf der ich raussteigen wollte. Es war ja auch nicht so wichtig. Hauptsache, das Nachschenken klappte noch. Den letzten Schluck ließ ich in der Flasche. Für den Rückflug.
    Mitten in der Nacht wachte ich auf. Jetzt fühlte ich mich betrunken. Ich lag in Kleidern auf dem Bett, der Fernsehapparat spuckte Bilder aus. Als ich ihn ausschaltete, implodierte mein Kopf. Ich schaffte es, meine Jacke auszuziehen, ehe ich wieder einschlief.
    Beim Aufwachen wußte ich für einen kurzen Moment nicht, wo ich war. Mein Zimmer war geputzt und aufgeräumt, der Aschenbecher leer und der Zahnputzbecher wieder in Zellophan. Auf meiner Armbanduhr war es halb drei. Ich saß lange auf dem Klo und hielt meinen Kopf. Als ich die Hände wusch, vermied ich es, in den Spiegel zu sehen. Ich fand ein Päckchen Saridon in meinem Reisenecessaire, und nach zwanzig Minuten waren die Kopfschmerzen weg. Aber bei jeder Bewegung schwappte meine Gehirnflüssigkeit schwer gegen die Schädelwandung, und der Magen schrie nach Essen und sagte mir zugleich, daß er es nicht bei sich behalten würde. Zu Hause hätte ich mir einen Kamillentee gemacht, aber ich wußte nicht, was Kamille hieß, noch wo ich sie herbekäme und wie ich Wasser heiß machen sollte.
    Ich nahm eine Dusche, erst heiß, dann kalt. Im Tea-Room meines Hotels bekam ich schwarzen Tee und Toast. Ich machte ein paar

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